Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
Themen-Einstiege
Berichte, Lektüren
24c3 #22: geschlechtspolitisches Sich-um-Kopf-und-Kragen-Reden (2)
Günter Komoll, egal
Antisozialdemokratische Utopie Grundeinkommen (7)
Martin Werner, Philipp, Klaus Gieg, ...
Afrikas größter Exportschlager: die Supercomputerisierung der Erde (3)
Christian, Christian, sunny
Englisch
Deutsch
Für alle von mir verfassten Texte auf dieser Seite gilt folgende Lizenz:
[hier war mal ein Amazon.de-Affiliate-Banner, heute aber nicht mehr; frühere Amazon.de-Affiliate-Links im Blog sind nun nur noch unaffiliierte Amazon.de-Links]
(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
14.40 Uhr und Folgende:
Das Nachfolgeprogramm desinteressiert mich wieder; vor allem droht eine Panel-Diskussion ueber "Medien im Wandel", deren trivialer Titel mich abschreckt. Ich verlasse den Saal wieder fluechtend fuer eine wohldosierte Portion Socializing. Spaeter hoere ich von Besuchern viele schlimme Dinge ueber das Panel, das nach Massgabe dieser Meinungen wohl tatsaechlich nicht so viel spannendes Neues in die Diskurssphaere produzierte. Ich beobachte "moot", wie er etwas lustlos durch die Gaenge irrt. Sein Vortrag ist der naechste auf meinem Programm. Um mir einen Platz zu sichern und noch etwas Sitz-Zeit zum Blogging-Nachholen zu finden, setze ich mich bereits in den vorhergehenden Vortrag, "Hype Machine", den ich jedoch thematisch nicht so interessant finde und deshalb rasch aus meiner Aufmerksamkeit ausblende.
14.30 Uhr:
Dr. Ricarda ...? startet mit einigen schoenen Mond-Aufnahmen, die Ken-Burns-maessig abgescannt werden, erleuchtet so futuristisch den dunklen Saal. Sie fuehrt somit "das neue Projekt der c-base" ein, "OpenMoon". Die c-base, das ist das sympathische kleine ausserirdische Raumschiff, dass Ecke Jannowitzbruecke in Berlin abgestuerzt ist und nun von Hackervolk und Verwandten bewohnt wird.
Google hat ja einen X-Prize fuer eine robotisierte Mondmission ausgelobt. Die c-base will eben das tun und erarbeitet einen Vorschlag, der ausgiebig visualisiert in schönen Animationen vorgefuehrt wird. "Lasst uns beweisen dass wir nicht nur Bits und Bytes beherrschen, sondern auch Triebwerke und Landesysteme." Die Reise zum Mond wird in winzige Abschnitte unterteilt, von denen man bereits mit einem 10€-Sponsoring einen sponsoren kann. Angedacht ist Crowdsourcing fuer die Planung einer Weltraummission. "Sponsort, setzt unser Banner auf eure Site, schreibt ueber uns!"
10.36 Uhr:
Jetzt soll es eine Diskussion zum Stand der Blogs in Deutschland geben. Hmmmm. Ich weiss nicht, das Thema klingt fuer mich jetzt heutzutage nicht mehr so aufregend. Wen interessieren schliesslich noch Blogs? Immerhin sieht die Diskutantenauswahl ganz gut aus (z.B. Robert Basic, den ja einige nicht leiden koennen, den ich aber immer gern reden höre), aber als angekuendigt wird, jetzt muesse erstmal auf der Buehne umgebaut werden usw., man könne ja erstmal einen Kaffee trinken gehen, sehe ich das als Zeichen, mich auf Nahrungssuche zu begeben. Ich kaufe mir im Foyer eine 1,50€ teure Bretzel.
ca. 12 Uhr:
Stelle auf dem offen gelassenen Browserfenster von jemandem, der frueher am Tag sich anderswo Internet besorgte, wo es das noch gab, fest, dass der ausgedruckte Programmplan auch des heutigen Tages ziemlich inaktuell ist und in der Online-Version Veranstaltungen verzeichnet sind, auf die ich sonst gar nicht aufmerksam geworden waere. Beispielsweise 14.30 Uhr, die Mondmission der c-base-Menschen, "OpenMoon". Nehme mir vor, das anzugucken.
Spaeter:
Philip Steffan schlaegt mit dem "Botanifon" auf, einem "Pflanzenversteher", das heisst: einer twitternden Pflanze. Ein Bausteln-Projekt, siehe hier. Dieweil interviewt mich ein ZDF-Kamerateam, fuer "Neues", die Fernsehsendung oder den Podcast, und ich sage wenig Intelligentes. Man filmt mich auch beim Tippen in meinen Computer, u.a. beim Passwort-Eingeben, ich hoffe, man protokolliert nicht meine Fingerbewegungen.
Ich schau kurz raus und stosse dort mit der Mem-Avantgarde zusammen. @fbz z.B. traegt einen "LOL"-Hut. Ausserdem entfuehren mich die Blogpiloten kurz fuer eine einminuetige Erklaerung des Begriffs "Mem". Mein drittes Interview des Tages erlebe ich spaeter, als mich @moritzmetz fuers Deutschlandradio Kultur aufnimmt. Als re:publica-Teilnehmer gehört man zu einer medienvielfgefragten Klasse ...
Die Mem-Avantgarde entdeckt einige Meter entfernt "moot", den Gruender und Betreiber von 4chan, des machtvollsten und schaurigsten Mem-Brunnen im Netz, und taktiert Kontaktaufnahme. Ich dagegen begebe mich in den Friedrichstadtpalastsaal zur naechsten Praesentation, auf die ich mich fuer heute gefreut habe, "OpenMoon" ...
10.57 Uhr:
John Kelly, irgendwie ein Blogforscher. Der kann viel besser mit seinem Flughafengehoppse prahlen, denn er komme gerade direkt aus New York und sei ziemlich jet-lagg'd. Und erklaert die Schwierigkeit, seine Praesentation ohne Internet durchzufuehren. Wie, frag ich mich, funktioniert das Internet immer noch nicht? Bildschirmprobleme gibt es auch. Aber, geil: Er hat/fuehrt plastisch und in bunt vor "ein rotierendes 3D-Modell der deutschen Blogosphaere"! Visualization pr0n, I love it! Dann wird's mir aber bald etwas zu viel und akademisch. Verschiedene derartiger 3D-Modelle, differenziert in ihren Wolkenaufteilungen / Clustern nach Geographie und Themen, politischen Ausrichtungen, Linkstrukturen bzw. Verlinkungsgeschwindigkeiten etc., werden strukturell verglichen, in verschiedene Graphen und Koordinatensysteme und Diagramme aufgeloest. Statistik-Zauberei, die hier und da Trends aufzeigen soll, mich aber primaer muede macht.
Lustig wird es dann aber wieder, als er sich der deutschen Blogosphaere zuwendet, weil er sie sozusagen 'blind' analysiert: Er visualisiert die populaersten Verlinkungen untereinander, die thematischen Cluster usw. zu lauter deutschen Webseiten, Blogs, Persönlichkeiten, die hier jeder kennt, die er ohne inhaltliche Kenntnis und Bewertung derselben 'objektiv' auseinandernimmt.
Seine YouTube-Abschlusspointen kann er leider nicht vorfuehren, denn das Internet geht wohl immer noch nicht.
10.44 Uhr:
Aha, "Conferenciers" sind dann offenbar einfach die, die die Zeit fuer Buehnenwechsel und Laptop-Aufbauen mit Durchlabern versuessen. Leiten so jedenfalls eine Keynote vom Spreeblick-Johnny ein. Der steuert seine Praesentation vom iPhone und fragt sich laut, was wohl passiere, wenn ihn mittendrin jemand anrufe, was dann natuerlich auch gleich jemand aus dem Saal zur Taetigkeits-Vorlage nimmt. Aber die Praesentation ueberlebt's.
Er erlaeutert das Kongressmotto "Shift happens", das von einem Karl Fisch stammt, der dieses tolle Medien-und-Bildungs-Singularitaets-Video mit eben diesem Titel gemacht hat. Viele Beschleunigungs-/Explosions-Zahlen in puncto Medien-Zeugs ueber die letzten Jahrhunderte.
Er schiebt eine Anekdote ein: "Wer weiss, ob es das Internet in ein paar Jahren noch gibt?" war die Begruendung, mit der Haeusler frueher fuer seine Unternehmungen Kredite abgelehnt bekam von der Bank. Da lacht der Saal. Und applaudiert, als er hinzufuegt, als Entgegnung, die er haette bringen sollen: "Wer weiss, ob es eure Bank in ein paar Jahren noch gibt?"
Dann weiter mit: Veraenderungsabfeierei, die Leute sind schon immer der Veraenderung hinterher gereist, technologischer Wandel schon immer disruptiv, hat schon immer alte Wirtschaften vernichtet und zugleich neue geschaffen. Und so natuerlich auch nun mit dem Internet, das uns erneut zwinge, die Begriffe Arbeit und Gesellschaft neu zu denken. So Jeremy Rifkin: "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft". Gedanken wie das Grundeinkommen. Wie koennte sowas aussehen? Schreibt er ein grosses Fragezeichen hin.
Auch schaut er auf sein eigenes Leben, erinnert sich der Shifts, die er durchgegangen ist, analog aufgewachsen, digital weitergewachsen, und dann im Alter? Digitale Generationen-Shifts; wir stehen vor der erste Generation, die sich digital verrentnern wird (wenn sie denn noch Rente bekommt), genauso wie vor der ersten Generation, die digital aufwaechst, "Screenagers". Wie werden all diese Lebens-Stages unter den neuen Bedingungen aussehen? Weitere Fragezeichen poppen auf, zu Zukuenften von Lebensstil und Kultur, Oekonomie und Privatsphaere, usw. usf. Und um ueber all solche Fragezeichen nachzudenken, die das Internet aufwerfe, dafuer, yesss!, veranstalte man die re:publica.
10.35 Uhr:
... geht's mit halbstuendiger Verspaetung los, hagelt es Applaus, die vier Chef-Organisatoren (die Haeuslers, Markus Beckedahl, Andreas Gebhard) stellen sich vor.
"Groesste Theaterbuehne der Welt oder zumindest Europas" sei das hier im Friedrichstadtpalast, heisst es von ihnen. Wirkt von hier oben aber gar nicht so gross. (Naja, groesser als die Buehne im TiK Nord zumindest, hoehoe.)
Ausserdem: Leute haetten sich beschwert, dass die re:publica keine "Conferenciers" bisher gehabt habe -- eben die gebe es jetzt. Keine Ahnung, was das sein soll, "Conferenciers". Aha, Erlaeuterung: die, die uns sagen, wann wir zu applaudieren haben.
10.37 Uhr:
Petra Mueller vom Medienboard, heisst willkommen. Fordert Applaus fuer ihre Flughafenhoppsereien, denn gerade kaeme sie aus Muenchen, wo ein Berliner Computerspiel irgendwas gewonnen habe. Und erlaeutert den Medienstandortfoerderungsauftrag des Medienboards. Die Webkultur gehoert da jetzt auch zu, da ist Berlin wohl gar nicht so schlecht aufgestellt, und dazu gehoert natuerlich auch die "re:publica". Als die zu verkaufende Strategie fuer den Standort: "Jungs, das Internet-Zeitalter ist da", hmja. Jetzt naemlich endlich auch im Angebot beim Medienboard: Pilotfoerderprogramm fuer digitale Inhalte, Computerspiele und Web-Inhalte.
ca. 9.00-10.30 Uhr:
Bekomme mein Baendchen, Badge und Konferenz-Zeugs-Beutel; entdecke darin den gedruckten Programmplan fuer die drei Tage. Ich bin sauer: Mein Vortrag (Donnerstag, 19 Uhr) steht gar nicht drin (auch wenn es ihn im Online-Programmplan gibt).
Vor-Eroeffnungs-Veranstaltungs-Socializing: Sehe viele bekannte Gesichter wieder, die ich keinen Online-Identitaeten zuordnen kann, aber auf jeder Webkonferenz bzw. Web-Konferenzen-aehnlichen Veranstaltung treffe; viele, die ich sowohl vom Sehen als auch online kenne; und Einige, und das ist natuerlich das Spannendste, die ich schon seit ewig online kenne, aber erst heute be-Haende-schuetteln kann. Same procedure as every year.
"WLAN kommt bald." hat jemand in ein grosses Office-Programm-Fenster geschrieben, das die linke Haelfte der Leinwand im Grossen Saal des Friedrichstadtpalastes fuellt. (Hach, gut, dass ich mich dafuer entschieden habe, nicht zu fotografieren / den Ersatz-Fotoapparat zuhause gelassen habe, kann ich mich in prosaischen Beschreibungen meiner Blickfelder ueben.) Hier im Saal scheint es keine Publikums-verfuegbaren Steckdosen zu geben, doof.
Ein paar Stuehle von mir entfernt traegt Jens Best das grosse Gemaelde von "The Berg" auf seinem Schoss.
Morgen beginnt ja die re:publica'09, die tolle Webkulturkonferenz, die auch schon die letzten zwei Jahre in Berlin stattfand. Treue Leser dieses Blogs werden sich erinnern, dass ich von der ersten ausführlich bloggte, selbiges bei der zweiten verplante, dafür bei letzterer aber einen eigenen Vortrag hielt.
Auch diesjahr wird mir wieder das Halten eines Vortrags vergönnt -- "Das egoistische Mem" am Donnerstag 19 Uhr, siehe mein kulturtheoretisches Nachbarblog --, aber nur unter Auflagen: Ich soll diesjahr wieder ordentlich konferenzbloggen!
Eigentlich twittere ich ja inzwischen eher und betreibe im Blog mehr oder weniger einfach Twitter-Resteverwertung (hab da auch eine ganze Menge nachzuarbeiten, aber das tu ich frühestens post-re:publica), aber in Erwartung der re:publica habe ich mir immerhin eine Funktionalität zusammenprogrammiert, die mir notfalls zumindest die recht geschwinde Zusammenballung meiner Live-Tweets zu (weiter ausformulierbaren) Blogeinträgen erlauben soll, also könnte das sogar hinhauen!
Wo ich mir noch nicht so sicher bin: ob die Einträge wie sonst auch bei meinem Konferenzgeblogge von Fotos geziert werden. Ich hab auf dem 25c3 meinen supertollen Fotoapparat demoliert, und die Reparaturkosten waren mir zu hoch, so dass ich jetzt nur einen geliehenen Fotoapparat vorzuweisen habe, in den ich mich erstmal eingewöhnen müsste (das ist wohl eher ein Schnappschussgerät, an dem ich auch nicht so viel rumstellen kann) und von dem ich noch nicht weiß, ob mein Linux ihn frisst. Mal schaun, ob/wie ich dazu komme ... So oder so, die nächsten Tage könnt ihr euch hier auf jeden Fall auf Text von der re:publica freuen! :-)
Aufmerksamkeitsdifferenz: Während das netzpolitische Interesse der deutschen Twitter- & Blogosphäre gerade erheblich in Beschlag genommen wird von der von Ursula v. d. Leyen angetriebenen Kampagne zur Installation einer Internet-Zensur-Infrastruktur für Deutschland (mit dem Argument, Kommunisten Nazis Terroristen Kinderpornographie-Industriellen so das Handwerk zu legen, wobei die rationelle Begründung auf höchst wackeligen Füßen steht, aber mit einer Ignoranz- und Empörungs- und Paranoia-Maschinerie zu rechnen weiß, für die sich Begriffe anbieten wie McCarthyismus und Salemer Hexenjagd) und dem Kampf um das Recht, unbehelligt WikiLeaks zu verlinken (was hierzulande offenbar zu Hausdurchsuchungen und Strafanzeigen führt), weil die durch Veröffentlichung von Zensur-Listen eine Transparenz für derlei Zensur-Infrastrukturen herstellen, die das Konzept der Internet-Zensur als demokratischer Überprüfbarkeit unvereinbar offenbart, … dürfte es aufgrund seiner Unsexiness und Kompliziertheit/Distanz sehr viel schwerer fallen, Aufmerksamkeit zu generieren für einen politischen Prozess vergleichbarer Relevanz, nämlich des Telekom-Pakets, das auf EU-Ebene durchgedrückt zu werden versucht und mit so Perlen wie Aufhebung der Netzneutralität und Three-Strikes-and-you’re-Out-Regelungen nicht minder an den technischen und politischen Grundfesten eines freien Netzes zu rütteln droht. Deadline ist hier Ende des Monats; Netzpolitik.org fordert dazu auf, deutsche Abgeordnete zu kontaktieren und mit einem Musterbrief zu konfrontieren, der sie dazu bringen soll, dagegen abzustimmen. Ich finde es wichtig, darauf zu verweisen, bin mir aber zugleich im Ungewissen, wie ich den empfohlenen Partizipationsmodus bewerten soll. Ich gewinne nicht zuletzt durch die im ersten Teil dieses Absatzes erwähnte Kinderpornographie-Debatte in der deutschen Politik mehr und mehr den Eindruck, dass die in diesen Gegenden regierende politische Klasse (Parteienlandschaft) überhaupt keine Ahnung davon hat, was das Internet ist und bedeutet, dass das Verständnisproblem so fundamental tief begraben ist, dass da Briefe an Abgeordnete kaum etwas bewirken können, und dass man als Netizen in den Parlamenten dieser Breitengrade einfach nicht vertreten ist. Aber vielleicht ist das auch nur in Deutschland besonders krass, und vielleicht bin ich einfach zu pessimistisch. (Ich! Pessimistisch! Ha!)