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Mittelalter, Fortschritt, Nachhaltigkeit

Die Kommentardiskussion zu meinem "We could have been exploring the galaxy by now"-Eintrag wird immer interessanter, komplexer und umfangreicher. Um die Übersichtlichkeit zu wahren, nehme ich mir mal die Freiheit, meine neueste Entgegnung auf Ruben hier als eigenen Artikel zu verbloggen.

@Ruben:

1. Ok, nehmen wir mal für gegeben an, dass im christlichen Mittelalter in Sachen Logik und Semantik die Herausbildung des denkerischen Apparats tatsächlich die griechisch-römische Antike übertrumpft. Dazu fallen mir dann einige Fragen ein, die ich aber nicht missverstanden haben möchte als die Erwartung/Vorwegnahme diffarmierender Konklusionen: Von welcher Konsequenz waren diese methodischen Höhen? (Wo man sie doch erst jetzt wieder in ihren Qualitäten erfasst: Kollabierten sie unter Nabelschau und Quellen-Enge zur Sackgasse; oder bestellten sie unsichtbar (bzw. nachträglich durch Geschichtsfälscher verdunkelt) den Nährboden, ohne den relevante spätere Geistesgeschichte nicht möglich gewesen wäre? Wären wir heute in Sachen Logik und Semantik so weit, hätte es diese Vorgänger nicht gegeben?) Inwieweit sind Christentum und Kontemplation oder auch die wissensgesellschaftliche Ordnung jener Zeit notwendige Bedingung für diese Höhen? (Hätte man in einer intellektuell freieren Kultur bzw. unter größerem Austausch mit äußeren Systemen und Umständen bzw. bei gesellschaftlich breiterer Einbindung in die intellektuellen Debatten vielleicht den selben Stand wesentlich schneller erreichen können? Oder waren gerade Isolation, Selbstbezüglichkeit, dogmatische Strenge, Verknappung der Denkwerkzeuge und -lizenzen dafür notwendig?) Das ganz grobe Argument des Demotivationals am Anfang meines Ausgangs-Artikels ist ja, dass die "Christian Dark Ages" eine Intelligenz- und Wissens-Entwicklung abgebremst hätten, die ohne sie sich kontinuierlich weiter beschleunigt hätte, und zwar analog dem Durchstarten, das sie zwischen Renaissance und Aufklärung erfuhr. Würde man nun nachweisen, dass dieses Durchstarten ohne die intellektuellen Errungenschaften der "Christian Dark Ages" gar nicht möglich gewesen wäre (und diese intellektuellen Errungenschaften nur durch die "Christian Dark Ages" entstanden), könnte eben dieses Argument kollabieren.

2. Das Spannende an dem Konzept der "Christian Dark Ages" finde ich ja gerade, dass es sowohl die Logik eines kontinuierlichen Niedergangs im Sinne "früher war alles besser" als auch die eines kontinuierlichen Fortschritts im Sinne von "früher war alles schlechter" ad absurdum führt. Es impliziert nämlich, dass ein Stand "besser" in der griechisch-römischen Zivilisation erreicht wurde, der dann einem "schlechter" der "Christian Dark Ages" wich, der dann wiederum einem "besser" der Neuzeit den Weg freimachen musste. Das macht sie potentiell zu einer faszinierenden Abweichung gegenüber Fortschrittslogiken wie der hier im Blog gern thematisierten "Technologischen Singularität" bzw. provoziert intellektuell reizvolle Spielchen wie "Chronologiekritik" (Wenn so vergleichsweise wenig überliefert ist aus einer vergleichsweise späten Zeit, gab es die Zeit dann überhaupt? Wie erklären sich Diskontinuitäten/Sprünge in Konstruktions- und Waffentechnik?). Ich schüttele den Begriff mit Relativierungen und Zuspitzungen durch, um mein Verständnis gerade von so etwas wie "Fortschritt" zu erweitern.

3. Deine Gegenwartskritik scheint vor allem auf die Nachhaltigkeit des Fortschritts abzuzielen. Ich behaupte jetzt mal pauschal, dass die Lebensbedingungen eines durchschnittlichen Menschen auf Erden in Sachen Lebensdauer und Gesundheit und Lebensführungsfreiheit und gesellschaftlicher Mobilität heute besser sind als die im 'dunklen Mittelalter'. (Würdest du dem zustimmen/widersprechen?) Aber hat das nicht seine Bedingung in einem technisch perfektionierten Raubbau an Ressourcen/Ökosystem, der das Ganze höchst instabil und unsicher macht? Ich will mir hier nicht anmaßen, die langfristige Strapazierbarkeit von Mutter Erde unter den gegenwärtigen Bedingungen zu behaupten. Aber ich verweise darauf, dass gerade das technologisch-kapitalistische Wirtschaftssystem nicht nur sehr Ressourcen-vereinnahmend, sondern auch sehr flexibel im Reagieren auf und Managen von neue[n] Knappheiten ist; dass sowohl Malthus als auch der Club of Rome oft genug in ihren bisherigen Kollaps-Vorhersagen falsch lagen; und dass die Geschwindigkeit, mit der wir Technologien entwickeln, um alte Engen und Knappheiten und Elendsursachen zu überwinden, durchaus mit derjenigen mitzuhalten scheint, mit der wir derer neue schaffen. Fraglos sind wir im Zuge der Globalisierung und des Klimawandels und neuer Kriegswaffentechnologie an einen besonders kritischen Punkt gelangt, der apokalyptische Szenarien ganz neuer Größenordnungen denkbar macht; aber eine realistische Antwort darauf kann meines Erachtens nicht in Rückbesinnung auf Werte des Mittelalters liegen, sondern nur in höheren Ansprüchen an das, was wir "Fortschritt" nennen. (In meiner Vorliebe für Technofuturismus denke ich da zuerst ganz materialistisch an Geo-Engineering, neue Energie- und Produktionsmethoden, Auslagerung von Raubbau und Abfall (und "Backups" der Menschheit in Form von Kolonien ("Terraforming")) in den (an Aufnahmekapazität ziemlich, ziemlich reichen) Weltraum; für moralischere Arbeit am Begriff siehe den nächsten Punkt.)

4. Aber kommen wir endgültig zur Frage nach dem Begriff "Fortschritt" selbst. Ich schlage als Definition von "Fortschritt" vor: die zeitlich kontinuierliche Vergrößerung bestimmter als positiver empfundener Werte. Ein humanistischer Fortschrittsbegriff könnte damit zum Beispiel folgende Werte meinen: menschliche Lebensqualität -- körperliches und psychologisches Wohlbefinden, Lebensdauer -- und der Umfang menschlicher Fähigkeiten -- die eigene Umwelt zu gestalten und zu wechseln und mit sich in Austausch zu bringen etwa. Eine etwas abstraktere/esoterische Fortschritts-Definition im Geiste der "Technologischen Singularität" (oder auch christlicher(!) Philosophen wie Teilhard de Chardin) dagegen könnte als zu vergrößernden Wert meinen: die Intelligenz-Höhe/Dichte [eines Teils] des Universums (beliebtes Science-Fiction-Szenario: die langfristige Verschmelzung und materielle Expansion intelligenten Lebens zu einem Planeten [einem Sonnensystem, einer Galaxis], die nur aus intelligentem "Computronium" bestehe). Das Konzept der "Vergrößerung" solcher Werte widerspricht natürlich in jedem Fall dem des "die Welt so sein lassen, wie sie ist". Aber wir wissen heute, dass das Universum sich nicht in unveränderlichem Stillstand befindet, sondern seit dem Urknall in Veränderung ist. Man kann die Welt also gar nicht langfristig "so sein lassen, wie sie ist"; man müsste sie künstlich anhalten. Da erscheint mir der Gegenentwurf einer Veränderung, die man auf kontinuierliche Steigerung dessen lenkt, was man für gut befindet, sehr viel attraktiver. (Stellt sich nur die Frage, wie sich das langfristig mit steigender Entropie in geschlossenen Systemen vereinbaren lasse; kurzfristig, indem man das geschlossene System von einer globalisierten Erde auf ein Sonnensystem usw. ausweite; denkt man über so etwas hinaus, gelangt man schnell an monströse Fragen der Kosmologie wie die nach dem Ende des Universums. Aber ehe wir uns Sorgen machen müssten über die langfristige Nachhaltigkeit eines globalisierten Universums, hätten wir wohl noch einige Jährchen Fortschritts-/Expansions-Zeit über.)

Friday March 20, 2009

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Kommentare

  1. Aleks / 20. March 2009, 11:36 Uhr

    Kosmologisch betrachtet ist unsere Zivilisation doch ohnehin eine Niederlage.

    Das muss man zunaechst mal einsehen. Selbst wenn es uns gelingt, die Erde zu verlassen, bevor sie von einem Asteroiden getroffen wird. Selbst wenn wir das Sonnensystem verlassen, bevor die Sonne in ein paar Milliarden Jahren verglueht. Selbst wenn wir lernen, in Schwarzen Loechern zu hausen, bevor der letzte Stern verglueht ist, und selbst wenn es uns gelingt, ohne Materie klarzukommen, bevor das letzte Proton zerfallen ist. Selbst dann, werden ‘wir’ nicht mehr ‘wir’ sein, sondern eine andere Spezies, die von unserer soweit entfernt ist wie wir von einem Bandwurm. Und wer bezeichnet schon den Bandwurm als den Vater unserer Zivilisation? In dieser kosmologischen Zukunft wird niemanden unser kleinteiliges Rumoren von heute noch irgendwie interessieren.

    Von diesem Punkt der unvermeidlichen Niederlage ausgehend kann man wesentlich entspannter argumentieren. Die Vermehrung von Intelligenz als Fortschrittskriterium ist ein unbrauchbares Kriterium, schon weil man dafuer erst klaeren muesste, was Intelligenz ist. Unsere naturwissenschaftliche Intelligenz ist heute sehr viel weiter als im Mittelalter, aber gilt das fuer alle Arten von Intelligenz? Ist unsere musikalische Intelligenz heute ‘besser’ als die im Barock? Ok, unfaires Beispiel, als die in der Klassik? Sind wir philosophisch und weltanschaulich wirklich ‘besser’, was auch immer das heisst, als im Mittelalter? Und mit welchem Messgeraet misst man dieses ‘besser’ eigentlich? Schon das Reden von ‘besser’ und ‘schlechter’, einer Skala mit zwei Enden also, zeigt, dass Du am Anfang Deiner Argumentation einen naturwissenschaftlich-technologischen Fortschrittsmassstab verschluckt hast und jetzt nicht mehr hergeben willst. Das Primat der Naturwissenschaften, in Methodik und Inhalt, steckt hinter jedem Deiner Argumente.

    Wenn ich in einer Milliarde Jahre mal Zeit habe und auf die Gegenwart zurueckblicke, dann kann ich mir sehr gut vorstellen zu behaupten, dass das 19./20. Jahrhundert die Dark Ages der Menschheitsgeschichte waren. Es ist vollkommen klar, warum ich das jetzt nicht tue, wer will schon im Dunkeln leben, aber man sollte sich darueber im klaren sein, dass kulturelle Egozentrik hinter jeder Ecke in dieser Debatte lauert.

    Und ich habe noch nichtmal die Ausserirdischen erwaehnt.

  2. Aleks / 20. March 2009, 12:13 Uhr

    Obwohl ich koennte!

  3. Ruben / 20. March 2009, 14:23 Uhr

    @ Christian:

    ad 1.:
    (a) Die vermeintliche “Isolation”, “Selbstbezüglichkeit”, “dogmatische Strenge” und “Verknappung der Denkwerkzeuge” im Mittelalter ist m.E. eine unter Voraussetzung bestimmter, bereits gefällter Vorurteile eine Verabsolutierung von Teilaspekten, kurz: Eine fehlerhafte Einseitigkeit in der Beurteilung der Epoche. In den 1000 Jahren Geistesgeschichte, die man so brachial unter der Schublade “Mittelalter” einzuordnen pflegt, gab es durchaus AUCH eine große denkerische Freiheit. Ohne denkerische Freiheit wäre beispielsweise kaum eine derart starke Aristotelesrezeption im Hochmittelalter möglich gewesen. Es wäre auch kaum möglich gewesen, Systeme derart radikal weiterzudenken. –

    Wenn man philosophische Leistungsfähigkeit als Kriterium der Beurteilung nimmt, dann fand in der Aufklärung eine erschreckende Verflachung und ein Verfall an denkerischer Schärfe und analytischer Präzision statt – das analytische Niveau der mittelalterlichen Scholastiker wurde erst wieder von Kant und den deutschen Idealisten erreicht (um danach im Materialismus übrigens wieder in erschreckendem Maße einzubrechen, dieser Zustand hat sich im “Vulgärmaterialismus” [um eine Vokabel von Marx zu benutzen] bis heute durchgehalten).

    Was bringen uns heute die mittelalterlichen Diskussionen, fragst Du? Ok, sie bringen z.B. erstaunlich viel in der ganzen Realismus-Antirealismus-Debatte um die Quantenmechanik. Die durch die Quantenmechanik aufgeworfenen wissenschaftstheoretischen und ontologischen Fragen sind nicht direkt von technischer Nutzbarkeit, aber sie gehören zu DEN entscheidenden Fragen für unser naturwissenschaftliches Weltbild. Das Mittelalter hat in Fragen Realismus und Antirealismus eine beachtenswerte Vorarbeit geleistet. – Alles eine irrelevante und dumme Epoche? Gewiß nicht.

    (b) Was Du hier tust mit den genannten Charakterisierungen (Isolation, Verknappung,…) ist genau wieder das, was ich Dir zum Vorwurf mache: Du setzt implizit Dein negatives Urteil bereits an den Anfang der Argumentation. Das ist das, was der Aufklärer Immanuel Kant mit Dogmatismus meinte: Man versucht, die eigenen Vorurteile zu bestätigen, anstatt die eigenen Prämissen einmal zu hinterfragen.

    ad 2.:
    Offenbar ist nicht klar geworden, was ich mit dem Bezug auf Katachronismus und Anachronismus meinte. Was ich sagen wollte, ist folgendes: Man muss zu allererst eine Epoche aus sich selbst heraus zu verstehen versuchen. Legt man einen Vergleichsraster von früheren oder späteren Epochen an, bleibt nicht viel anderes, als dass immer irgendetwas “besser” und “schlechter” ist. Und wenn man dann wie Du auch noch dazu tendiert, dass im Vergleich zu welcher Epoche auch immer im Mittelalter ALLES schlechter war – dann ist das eine Reinform von Ana- und Katachronismus. Es geht um die plumpe Pauschalisierung “alles war schlechter”. Solche Allquantifizierungen sind meist starke Indizien für vorurteilsbelastetes Denken.

    ad 3.:
    Wir schrotten den Planeten, aber unsere Fortschrittsmaschinerie ist ja so toll, dass sie in Zukunft die Elendsursachen überwinden wird? Wir schrotten den Planeten, aber wir sind ja so toll, dass wir uns bald nen neuen irgendwo aufbauen können? – I mean, hello? – Das ist für mich die viel üblere Jenseitsvertrösung als es Religionen betreiben. Das klingt für mich wie: Der Finanzkapitalismus ruiniert die Welt, aber der Finanzkapitalismus ist so toll, dass er uns bald eine glitzernde neue Welt zaubern wird.

    ad 4.:
    (a) Ich teile Deinen sogenannten “humanistischen Fortschrittsbegriff” nicht. “Humanistisch” bedeutet für mich nicht lediglich körperliches und psychologisches Wohlbefinden und optimierter Umgang mit der Umwelt. Für mich ist das eher utilitaristisch, denn humanistisch und dahinter steht ein ziemlich reduziertes Menschenbild. Für mich gehört zum Wesensziel des Menschen ein zweckfreier Erkenntnisgewinn – die Meditation der Struktur des Universums und des Seins um ihrer selbst willen. Da bin ich ganz Aristoteliker (und Thomist). – Es ist also wieder eine Frage der allerersten Prämissen, die uns trennt.

    (b) Eine weitere Prämisse, die uns trennt, ist: “Alles ist in Veränderung”. Nein, ist es nicht. Mathematische, (onto-)logische Strukturen und ihre ganze Semantik z.B. verändern sich nicht (von ihnen handelt Wissenschaft in Reinstform, die exakte Wissenschaft in ihrer höchsten und idealsten Stufe hat über-raumzeitliche Strukturen zum Gegenstand). Ohne diese unveränderlichen Strukturen könntest du so etwas wie den Entropiegedanken gar nicht erst formulieren, sie sind die conditio sine qua non deiner ganzen Behauptungen und aller Naturwissenschaft. Eine Gesellschaft, die sich bevorzugt mit der zweckfreien Erforschung dieser Strukturen befasst und alles andere hinten anstellt, ist keine “dümmere” Gesellschaft.

    Hingegen zu sagen: Alles ist veränderlich und das Maß aller Dinge ist der Fortschritt – das ist für mich absurd. Da stimme ich völlig mit Schopenhauer überein. Dieser Weg ruiniert alles und inzwischen sollten wir das gelernt haben – wenn wir in unserem fortgeschrittenen Zeitalter wirklich so schlau sind, wie wir meinen.

  4. classless / 20. March 2009, 15:37 Uhr

    @ Aleks

    “dass das 19./20. Jahrhundert die Dark Ages der Menschheitsgeschichte waren. Es ist vollkommen klar, warum ich das jetzt nicht tue, wer will schon im Dunkeln leben”

    Still in the 90s?

  5. Ruben / 20. March 2009, 16:54 Uhr

    Sehr witzig finde ich übrigens auch: Die “tolerante Antike”. Millionen ausgebeutete Sklaven und dahingeraffte Völker beißen sich in den Arsch bei der Aussage, zerstörte Philosophenschulen und abgefackelte Bibliotheken qualmen, verfolgte Religionen winken mit den Gebeinen ihrer ermordeten Anhänger, unterdrückte Frauen grüßen und ausgebeutete Kinder ebenso, leuchtende Gestalten wie Perikles, Alexander und gebildete römische Cäsaren klappen ihre Kriegstreiber-Visiere herunter und die Juden schicken Ansichtskarten aus der ultimativen Vertreibung.
    Alles besser als das Mittelalter? Whow.

  6. Erik / 21. March 2009, 11:48 Uhr

    Isaac Assimov sagte einmal: “Wenn Wissen Probleme schafft, werden wir sie nicht mit Unwissen lösen.”

    @Ruben: Du musst aufpassen, dass Du nicht der Vorwegnahme deiner Konklusionen verfällst, wie Du es Christian vorwirfst! Die plumpe Formulierung “Im Mittelalter war alles schlechter” benutzt doch niemand.

    Für dich bedeutet Humanismus – als Wesensziel des Menschen: Zweckfreier Erkenntnisgewinn. – A priori oder a posteriori? Sage mir mal bitte, welche Möglichkeiten es für die Gewinnung von Erkenntnissen gibt!

    Kommen wir doch mal auf moderne Geisteswissenschaften zu sprechen. Glaubst Du nicht, dass diese durch unabhängige Kriterien – wie Objektivität, Empirie oder Poppers Falsifikationsprinzip – wesentlich reliabler (zuverlässiger) sind, als mittelalterliche, durch Gottglauben zersetzte, Metaphysik? Oder wenn wir uns Luhmanns Abhandlungen zur Systemtheorie anschauen. Das sind doch genau deine nach innen gekehrten Denkprozesse aus reinem Selbstzweck! Ich meine wir können uns auch Thomas von Aquin und Augustinus als Vertreter des Mittelalters ansehen. Aber deren Prämissen (im Wesentlichen: Göttliche und transzendente Ursachen für die Welt anzunehmen) standen ebenso unhinterfragt im Raum, wie Du es der “Wissenschaft” vorwirfst.

    Die Wissenschaft ist allerdings kein herrschsüchtiges Dogma, sondern ein System intersubjektiv angenommenen Wissens. Das bedeutet, dass Wissen (oder “Erkenntnis”)immer nur solange gültig/ “wahr” ist, bis man allgemein von der Falschheit oder einer neuen “Wahrheit” überzeugt wird. Daher sprechen wir nicht von Wahrheit, sondern von Evidenz.

    Immanuel Kant hat die Nichtexistenz Gottes im Prinzip bewiesen – auch wenn er es nicht ausgesprochen hat. Aber auch er setzte einfach nur etwas anderes an seine Stelle – die Vernunft. Das ist es, was “Fortschritt” bedeutet! Die Ablösung einer überkommenen Anschauung durch etwas neues.

    Unterscheidungen sind es, die neues generieren! So wie an einer Fensterscheibe, die zwei ungleich warme Räume voneinander trennt, Wasser kondensiert, schlägt sich Wissen an den Unterschieden zwischen zwei – oder mehreren – Systemen nieder. Daher ist deine zweckfreie Wesensgestallt um ihrer Selbst Willen, wie Du den Menschen bezeichnest für mich absurd!

    Ich kann nicht mutmaßen, wie Das Universum entstanden ist, aber allgemein gültige Tatsache ist nunmal, dass wir uns in einem evolutionären Prozess befinden. In diesem Prozess streben neben Genen auch “Meme” um ihr Überleben. Die Frage ist jetzt nicht, was wir gut finden. Die Frage ist, welchen Überlebenszweck es aus Sicht der Gene bzw Meme hat, DASS wir es gut finden. In einer Zeit, in der das Klima in Mitteleuropa deutlich kälter war, als heute – zum Beispiel im Mittelalter – und als neu entstandene Formen des sozialen Zusammenlebens in vormodernen Staaten die ein oder andere Zwangsmaßnahme zum Zwecke des Überlebens notwendig machten, kann es äußerst funktional gewesen sein, sich strengen (religiösen) Regeln zu unterwerfen.

    Es ist aber nun offensichtlich so, dass diese nach innen gekehrte – auf Subsistenz beruhende – Lebensweise in einer globalisierten Welt mit Telekomunikation und Überbevölkerung nicht mehr so gut wirkt (in bezug auf die Überlebensfähigkeit), wie damals. Eine zweckfreie Erforschung der “Struktur der Dinge”, wie Du es ausdrückst, mag ein Muster/ Mem gewesen sein, dass sich selbst lange Zeit replizieren konnte, solange man ein ganzen Leben lang nie Menschen von der anderen Seite der Berge kennengelernt hat.

    Interessant ist es allerdings schon: Wieso denken wir über Gott und den Ursprung des Universums – oder analog über Philosophie, Kunst und Fiktionen nach? Das hat alles nicht direkt etwas mit Bedürfnissbefriedigung zu tun. In der Hinsicht meine ich, war das Mittelalter vielleicht einfach bodenständiger! Das Züchten von Vieh, Bauen von Unterkünften, die geradeso der Witterung trotzen usw. dienten der Bedürfnisbefriedigung (dringend notwendig, weil wie gesagt: kälteres Klima!). Aber trotzdem brauchten die Menschen etwas an dem sie sich festhalten konnten, das ihnen einen Sinn in der rauhen Umwelt deutete. Das hiesige Leben war zwar hart und entbehrungsreich, aber dafür winkt nach dem Tod das transzendente Weiterleben oder so. Konkret technischer Fortschritt, Verbesserung physischer und psychischer Befindlichkeiten waren so schnell nicht zu machen (obwohl es durchaus viele Entwicklungen in Städtebau, Waffentechnik, Landwirtschaft, Architektur und ja sogar Medizin gab). Da ist es beinahe augenscheinlich, wie eine Kultur/ Religion die Führung übernehmen konnte, die diesen Zweig der Weiterentwicklung hemmt. Dafür wurde der Schwerpunkt vorrübergehend wieder auf Subsistenzwirtschaft gelegt.

    Von daher teile ich die Auffassung, dass der technische Fortschritt zugunsten psychischer Absicherung des Überlebens (mittels Heilslehren und Gottglauben) so lange Zeit gehemmt werden konnte, weil nach Völkerwanderung und Klimawandel gar keine andere Möglichkeit blieb. Bis schleichende Entwicklungen in diesen Bereichen einen kritischen Punkt überschritten haben, um das Zepter (sozusagen) wieder umschlagen zu lassen.

  7. Ruben / 21. March 2009, 13:40 Uhr

    @Erik:

    1. Seit Kripke und Quine ist die Trennung zwischen aposteriorischen und apriorischem Erkenntnisgewinn nicht mehr adäquat (und damit auch der Empirismus, den Du vielleicht im Sinn hast). Von Dir benutzte Vokabeln wie “von Gottglauben zersetzte Metaphysik” sind Vorurteile, auf Basis derer hier eigentlich keine seriöse Diskussion möglich ist.

    2. Die Prämissen von Thomas von Aquin und Augustinus standen nie unhinterfragt im Raum. Ist mir absolut schleierhaft, wie man darauf kommt. In der ganzen klassischen Scholastik wurden genau ihre Prämissen diskutiert, und zwar ausnahmslos alle. Es gehört notwendig zur scholastischen Disputation, dass alle Prämissen vom Adversor angegriffen werden.

    3. Kant hat nie die Nichtexistenz Gottes “im Prinzip” bewiesen und an dessen Stelle die Vernunft gesetzt. Diese Behauptung ist kompletter Quatsch, sorry. Wer Kant aufmerksam liest, wird das merken. Die Existenz Gottes ist bei Kant ein notwendiges Postulat der praktischen Vernunft. Und in der Kritik der reinen Vernunft heisst es im abschließenden Kapitel der transzendentalen Dialektik: “[…] aber können wir doch (wird man fortfahren zu fragen) einen einigen weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen.” (KrV, B 725). – Aber hier geht es nicht um die Existenz Gottes in dieser Diskussion, das ist ein anderes Feld.

    4. Die Meme-Theorie ist selbstwidersprüchlich. Denn entweder ist sie selbst ein Memeplex oder nicht. Ist sie es nicht, widerspricht sie ihren eigenen Voraussetzungen (denn Theorien sind selbst Gedankenkomplexe). Ist die Meme-Theorie aber ein Memeplex, dann ist sie durch zufällige Mutation und Selektion entstanden – d.h. ein zufälliges Produkt, dessen Wahrheitsgehalt damit aber komplett in den Sternen steht.

    Ruben

  8. Erik / 22. March 2009, 11:43 Uhr

    Ruben. (erstmal vielen Dank, dass Du mir geantwortet hast. Tut nicht jeder)

    Kein Wissenschaftler spricht ernsthaft und letztgültig von “Wahrheitsgehalt”. Natürlich ist die “Memtheorie” nicht bewiesen! Ebensowenig, wie die Evolutionstheorie oder die Chromosomentheorie der Vererbung. Wir nehmen diese Theorien als evident an und sehen, wie weit wir damit kommen. Das heißt aber nicht, dass dies der Weisheit letzter Schluss ist! Sich auf die Kanzel zu stellen und Wahrheiten zu verkünden ist Priestern vorbehalten.

    Mir ist nicht ganz klar, wie man reliabel über Prämissen diskutieren will, wenn der Empirismus dazu nicht adequat erscheint. Wenn wir uns die Argumente von Thomas v. Aquin zum Gottesbeweis ansehen, dann sind diese nicht wirklich überzeugend (und spätestens mit Darwins Entstehung der Arten unvereinbar)

    Ich frage mich, was an diesen “Disputen” analytischer und für das konkrete Leben der Menschen bedeutungsvoller gewesen sein soll, als später in der Aufklärung! Es war doch wohl eher so, dass die meisten Menschen an solchen Disputen gar nicht partizipiert haben. In der Aufklärung war doch die Analphabetenrate schon deutlich niedriger, sodass zumindest das “Bildungsbürgertum” an den Schrifften Kants oder Rousseaus teilhaben konnte.

  9. Aleks / 22. March 2009, 14:30 Uhr

    Hallo, lieber Erik,

    vielleicht kannst Du mir helfen. Ich bin Wissenschaftler und rede staendig ueber Wahrheitsgehalt. Genaugenommen interessiert mich nichts anderes, seit ich ungefaehr 12 bin. Ich stelle mich auch oft auf, naja, nicht direkt Kanzeln und predige von ewigen Wahrheiten wie dem Newtonschen Fallgesetz (‘auf der Erde fallen Koerper nach unten’), der Existenz von Atomen oder dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik, was ich eben so fuer den letzten Schluss der Weisheit halte. Wenn Wissenschaft wirklich nur aus dem Sammeln von Briefmarken, halt, ‘Evidenz’ zu tun hat, und wir nichts ueber Wahrheit sagen duerfen, dann verliert mein Leben seinen Sinn. Seit ich das von Dir erfahren habe, bin ich daher in eine tiefe Krise gefallen. Kannst Du mir einen Rat geben? Vielleicht bin ich einfach eine aussterbende Art.

    Mit sozialdarwinistischen Gruessen,
    Aleks

  10. Aleks / 22. March 2009, 14:43 Uhr

    Oder vielleicht im Ernst: Wir duerfen auf keinen Fall den Anspruch aufgeben, etwas ueber absolute Wahrheiten sagen zu duerfen. Dieses positivistische Fahrwasser fuehrt zu derselben Argumentation, die sich auch Vertreter von ID zueigen gemacht haben, die genauso staendig behaupten, Evolution sei nicht bewiesen. Wenn wir nicht den Anspruch vertreten, dass die Evolutionstheorie einen Gehalt an Wahrheit hat, dann koennte es auch ganz anders gewesen sein – kann es aber nicht.

    Was unterscheidet eine schlechte Theorie von einer guten Theorie? Woher kommen eigentliche diese Theorien? Wann erreicht eine Theorie den Punkt, absolute Ansprueche erheben zu koennen? Plattentektonik Wahrheit, Dunkle Materie Theorie? Was ist der Gradmesser fuer Wahrheit? Und wo steckt diese Wahrheit ueberhaupt? Das sind alles unfassbar interessante Fragen, die allerdings mit dem Ausgangsthema entweder rein gar nichts oder alles zu tun haben.

  11. Ruben / 22. March 2009, 14:44 Uhr

    @Erik

    1. Also kann man in der Wissenschaft jeden Scheiß behaupten? Du setzt als Prämisse wieder einen Popperschen Fallibilismus voraus – der ist wissenschaftstheoretisch allerdings echt nicht mehr up to date. Selbstverständlich geht es darum, ob eine Theorie zutreffend ist. Nur leider sagt die Behauptung, dass eine Theorie zufällig durch Mutation und Selektion entstanden sei, überhaupt nichts darüber aus, ob sie überhaupt auch nur wahrscheinlich zutreffend sei.

    2. Welchen von Thomas’ Gottesbeweisen meinst Du jetzt? Es gibt mehrere bei Thomas. Warum sind die “nicht wirklich” überzeugend? In der gegenwärtigen Wissenschaft befassen sich eine Reihe von renommierten Logikern und Mathematikern mit den Beweisen des Thomas, und heutzutage wird etwa der zweite Gottesbeweis der “Quinque viae” über maximale Elemente unendlicher Mengenketten geführt. Das ist meines Erachtens nichts, was man so einfach vom Tisch wischen könnte mit Pauschalargumenten à la “nicht wirklich überzeugend”. Um diese mathematisierten Beweise abschmettern zu können, braucht man beispielsweise intuitionistische Logik, ein ziemlich schweres Geschütz, das selbst heftig umstritten ist.
    Du wirkst mir ein klein wenig dogmatisch mit Deinem “das ist ja alles Scheiß, was die damals gedacht haben”.

    3. Zum Dritten Gottesbeweis bei Thomas empfehle ich übrigens das aktuelle Werk von Lorenz B. Puntel: “Structure and being”, Kapitel 5. Das ist auf dem modernen analytischen Niveau geschrieben und spiegeln den derzeitigen Stand gut wieder. Dort wird der Gottesbweweis übrigens verteidigt.

    4. Der Empirismus ist eine nachträgliche Abstraktion und Verkürzung unseres Wirklichkeitsbezugs, der durchaus etwas umfassender ist. Der Empirismus ist da leider auch nicht mehr so up to date. Der analytische Philosoph John McDowell hat das gut ausgedrückt mit der “unboundedness of the conceptual”: Reine Theoretizität hat sehr wohl einen Wirklichkeitsbezug und ist nicht eingegrenzt auf ein Wolkenkuckucksheim jenseits der Realität (“a system of concepts circumscribed within a boundary, and the world outside it”).

    5. Ich denke, in Sachen Empirismus kann man von dem Aufklärer Kant lernen: Wenn der Empirismus wirklich gilt, dann können wir überhaupt nichts über die Wirklichkeit an sich herausfinden. Dann dürfen wir aber auch gefälligst keine weltanschaulichen Konsequenzen aus der Naturwissenschaft ziehen.

  12. Erik / 22. March 2009, 19:07 Uhr

    @ Ruben

    Ich danke dir für deine Empfehlungen. Ich werde meine Ansichten nochmal überprüfen.

    @ Aleks

    Ich behaupte tatsächlich, dass wir keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit haben. Es heißt immer, es gäbe einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ich meine, alles ist Theorie.

    Ein Beispiel:
    Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung. Ein Gesetz! Physiker sind vom Wahrheitsgehalt dieses Gesetzes überzeugt.

    Aber was ist Masse? – Na Kraft durch Beschleunigung! Sehr klever!

    Diese Begriffe sind Konstrukte. WAS Kraft wirklich ist, ist reine Theorie.

    Ich möchte hier nicht dem radikalen Konstruktivismus das Wort reden. Aber ja, Du solltest aufpassen und in der Naturwissenschaft nicht von “Wahrheit” sprechen – ganz einfach weil Du es nicht kannst. Ebensowenig liegt kein höherer, belegbarer Sinn in deinem oder meinem Leben. Und selbst wenn, würde ich den nicht in der Funktion suchen, etwas über Wahrheit zu sagen.

  13. Ruben / 22. March 2009, 22:35 Uhr

    @Erik:

    Du sagst: “Ich behaupte tatsächlich, dass wir keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit haben.”

    Woher weisst Du das, wenn Du keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit hast?

    Entweder, Du behauptest, dass es sich WIRKLICH so verhält, dass wir keinen Zugang zur Wirklichkeit haben – dann hast Du aber einen Zugang zu dem, was WIRKLICH der Fall ist.

    Oder, Du behauptest nicht, dass es sich WIRKLICH so verhält, dass wir keinen Zugang zur Wirklichkeit haben – dann ist aber Deine Aussage sinnfrei, zumindest darf es Dich dann nicht stören, wenn jemand das Gegenteil behauptet, denn Du weisst ja nicht, wie es sich wirklich verhält.

    So what?

  14. Erik / 24. March 2009, 00:00 Uhr

    @Ruben

    Das hast Du schön gesagt ;-)

    Ich wähle Option zwei. Aber das muss natürlich jeder für sich selbst ausmachen. Da ich ein Anhänger der Systemtheorie bin, bin ich ja eh der Meinung, dass ich sagen kann, was immer ich will. Kommunikation findet so oder so unabhängig von uns statt. Aber das geht an dieser Stelle vielleicht zu weit.

    Selbstverständlich kann ich mir auch nicht sicher sein, ob meine Behauptungen wahr sind! Die Frage ist eigentlich nur, was plausibler erscheint: Dass ein persönlicher Gott das Universum geschaffen hat und mit Wundern ins Geschehen eingreift, oder dass wir uns in einem unbewussten evolutionären Prozess befinden, der auf Selektion und Mutation beruht. Selbstverständlich ist die Folgerung, dass Evolution nicht letztgültig bewiesen ist keine Argumentation für das Gegenteil sondern lediglich gesunder Menschenverstand!

    Der Gotteshypothese kann ich nicht zustimmen, weil die Annahme eines persönlichen Gottes keine plausiblere Erklärung für die Entstehung von Leben ist. Sie lässt nicht nur offen, wie Gott entstanden ist, sie ist auch an sich unwiderlegbar und damit unwissenschaftlich. Jaja ich weiß, mit Poppers Falsifikationsprinzip habt ihrs hier nicht so und wir können uns auch der Falsifikation nicht sicher sein. Aber da setze ich für mich möglichst konsistente Grundnormen, entscheide was ich für mich als evident annehme und schaue, wie weit ich damit komme. Wenn Probleme auftreten, gehe ich wieder hin, analysiere die Grundnormen und -werte und konstruiere wenn möglich neue. Als Pädagoge bleibt mir kaum etas anderes übrig.

  15. Erik / 24. March 2009, 00:03 Uhr

    Nochmal zur Systemtheorie: natürlich kann ich nicht so ganz sagen, was immer ich will. Schließlich ist alles was geschieht determiniert.

    ;-)

  16. Ruben / 24. March 2009, 00:47 Uhr

    @Erik:

    Ich wollte zwar eigentlich nicht über die Gotteshypothese diskutieren, aber dazu vielleicht das:

    Den Gott, den Du da beschreibst, kenne ich nicht. Ein Gott, der irgendwann in einem großen Knall oder in 7 Tagen die Welt hervorgezaubert hat, dann irgendwo in einem Jenseits herumhängt und von dort aus gelegentlich in die Welt reinpfuscht, der ist mir fremd. Mit Karl Rahner gesagt: “Zum Glück existiert das, worunter sich die meisten Menschen Gott vorstellen, tatsächlich nicht.”

    Gott – so wie er von der klassischen Ontologie verstanden wird – ist keine separate Entität, die irgendwo haust, und auch kein Lückenbüßer für Kausalerklärungen, die zum Aufgabengebiet der Naturwissenschaften gehören. Sowas denken sich nur Kreationisten aus. Die seriöse wissenschaftliche Frage nach Gott hingegen stellt sich auf der Ebene der Ontologie und der Modalitäten. “Gott” kann dort als die absolut-notwendige Seinsdimension gefasst werden, die in sich eine unendliche und perfekte Struktur bzw. Proposition darstellt, die selbstreflexiv ist und alle kontingente Strukturalität im Sein hält. Gott ist also keine Entität (kein Objekt, kein Gegenstand), sondern das Sein selbst – welches allem kontingenten Sein des Universums zutiefst immanent ist, aber es zugleich auch in unendlicher Weise transzendiert.

    In moderner analytischer Variante ist das in dem oben angesprochenen Werk von L.B. Puntel (“Struktur und Sein”, 2006) ziemlich toll ausgebreitet (finde ich). Es geht dabei um die Kernintuition, die seit Parmenides, Platon und Aristoteles über Thomas von Aquin, Kant, Hegel, Wittgenstein die Philosophie bis heute umtreibt, und welche gegenwärtig immer noch Gegenstand der großen Fachdiskussion ist. – Also nicht nur ein Thema von religiösen Missionaren und Fundamentalisten.

    Zu Dawkins vielleicht noch ein Wort: Ich stimme ihm zu, das oft extrem simple Gottesbild von Fundamentalisten ist abzulehnen. Aber daraus folgt nichts für den Gott der seriösen ontologischen Debatte. Dawkins ignoriert diese Fachdebatten ziemlich fleißig, was ich nicht unbedingt für sehr aufgeklärt halte. Ich meine, Immanuel Kant würde sich im Grabe umdrehen bei Dawkins Art, mit dem Thema umzuspringen, sorry.

  17. Ruben / 24. March 2009, 03:59 Uhr

    P.S.: Mit Ontologie meine ich oben Seinstheorie (es gibt heute daneben noch die kategoriale Ontologie, die sich mit Spezialthemen befasst). Die wissenschaftliche Frage nach Gott gehört in die Seinstheorie, und nicht in die Naturwissenschaften.

  18. Erik / 24. March 2009, 11:06 Uhr

    @Ruben

    Ich glaube mit diesem Gottesbegriff könnte ich mich arrangieren – oder zumindest drüber reden. Den Aufklärern um Kant wurde meiner Auffassung nach aber doch ein deistischer Glaube bescheinigt, oder nicht?

    Wie dem auch sei. In wiefern hilft uns das jetzt bei der Debatte übers Mittelalter? Gab es im Mittelalter jetzt mehr, gleich oder weniger Zugewinn an – ich nenne es mal flapsig: denkerischen Erkenntnissen, als davor und danach?

    In der Systemtheorie ist ganz allgemein das Unterscheiden eine Triebkraft der Entwicklung. Nur da wo wir uns unterscheiden folgt der Disput. Aber es muss keineswegs Einigung erzielt werden. Im Gegenteil: der Systemtheoretiker fordert geradezu, zu widersprechen, zu unterscheiden. Auch Begriffe wie Selektion und Evolution und Meme tauchen in diesem Zusammenhang auf.

    Und wenn wir danach gehen, können wir uns fragen, ob das jetzt im Mittelalter im weitesten Sinne auch so betrieben wurde. Leider stecke ich nicht so tief in der Materie wie Du (Ruben) scheinbar. Du nanntest ja schon den analytischen Disput um die Prämissen. Das hört sich ja im Wesentlichen wie mein Absatz über die Analyse von Grundnormen und -werten an. Dennoch geistert in meiner Vorstellung immer noch die Beschreibung eines dunklen Zeitalters herum, in dem kaum einer lesen und schreiben konnte, in dem Schriften und Erkenntnisse verloren gingen, in dem das Überleben schon allein aufgrund des Klimas schwieriger war und nicht zuletzt in dem die meisten “Gelehrten” doch gerade den fundamentalen Glauben an einen persönlichen Gott hatten, den wir hier/ heute ablehnen.

    Irre ich mich etwa (besonders in dem letzten Punkt)?

  19. Erik / 24. March 2009, 11:23 Uhr

    Mir ist noch was eingefallen:

    Es ist ja vielleicht denkbar, dass das Denken, die Philosophie – die ganze Menschwerdung bezeichne ich es mal – wesentlich im Mittelalter diskutiert und neue originäre Ansätze geschaffen wurden. Den Fortschritsgedanken auf technische Entwicklungen zu reduzieren und auf diese Weise zum höchsten Gut zu erklären ist sicher einseitig und unangebracht. Aber ist es nicht so, dass denkerische Schärfe sich erst mittels Schrifft und Lesefähigkeiten (oder allgemein: pädagogische Technologien) für die Menschheit bezahlt machen? Noch ein Vorurteil übers Mittelalter: Durch dogmatische theistische Lehren wurde die Bildung des Menschen zu mehr Selbstbewusstsein stärker gehemmt als in der Antike bzw. der Aufklärung. Ist das zu leugnen?

    Könnte der Grad an Freidenken und Selbstbewusstsein nicht vielleicht (indirekt) durch den Grad der technischen Entwicklung wahrgenommen werden?

  20. Aleks / 24. March 2009, 15:17 Uhr

    Nur kurz zur Korrektur, weil es jetzt zum zweiten Mal falsch vorkommt: Das Klima war im Mittelalter keinesfalls haerter oder kaelter.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Mittelalterliche_Warmzeit

  21. Erik / 24. March 2009, 15:41 Uhr

    ich habe mich vertan

    wie peinlich

  22. Christian / 24. March 2009, 17:18 Uhr

    Au weia. Sehr spannender Thread. Hier ist Einiges, wozu ich auch selber gerne weiter mitdiskutieren würde, aber ich komme kaum nach ;-) Werde mir das wahrscheinlich für nach der re:publica (1.-3. April) aufheben, zuviel zu tun dieser Tage gerade …

  23. Ruben / 25. March 2009, 00:35 Uhr

    @Erik:

    Wenn das Mittelalter keine originär eigenen und neuen Leistungen vollbracht hätte, gäbe es kaum Fachdisziplinen, die sich mit der Philosophie, Literatur, Architektur, Kunst und Musik des Mittelalters so ausgiebig befassen würden. Ich bin kein Mediävist und habe lediglich im Studium die Philosophie des Mittelalters gehabt, aber vielleicht folgende unqualifizierte Gedanken dazu:

    1. Mittelalterliche Wissenschaft adaptierte nicht nur antike und islamische Einflüsse, sondern entwickelte sie entschieden weiter, vorallem in der Logik, Sprachphilosophie und Ontologie.

    2. Im Mittelalter gab es nicht nur Denkverbote. Es wurde unglaublich viel gezofft, verschiedene Theorien prallten aufeinander, man versuchte verschiedenste Wege und Ansätze (siehe die bis heute relevanten Ansätze im Universalienstreit) – das wäre alles nicht möglich, wenn das Mittelalter nur eine dogmatische Käseglocke gewesen wäre. Es war zum Beispiel in der scholastischen Disputation Pflicht, dass es für jede These einen Gegner gab (sogar der Gotteshypothese musste die Gegenthese “NON EST DEUS” = “es gibt keinen Gott” entgegengesetzt werden, und es durfte nur mit der Vernunft alleine dagegen argumentiert werden, ohne Berufung auf Autoritäten. Und die schärfsten Gegner der Gottesbeweise finden sich übrigens im Mittelalter, nicht in der Aufklärung).

    3. Das Thema “Glauben und Vernunft” wurde im Mittelalter ganz mächtig diskutiert. Die Autonomie der Vernunft ist im Mittelalter herausgearbeitet worden, nicht erst in der Aufklärung. Zudem ist der Individualismus der Neuzeit etwas, das sich der Entwicklung des Personenbegriffs im Mittelalter verdankt. Die Betonung des Individuums (von Personalität und Relationalität) folgt direkt aus dem christlichen Weltbild, und es gibt hier eine klare und originäre Leistung des Mittelalters gegenüber der Antike, ohne die keine Aufklärung möglich gewesen wäre. Von einer Hemmung des Selbstbewußtseins des Menschen im Mittelalter kann man also nicht so einfach reden.
    Die Trennung von Religion (Kirche) und Staat ist ebenfalls eine mittelalterliche Erfindung. In der Antike gab es Staatsreligion und in Rom war der Kaiser Gott. Wer den Kaiser nicht anbetete, wurde abgeschlachtet (z.B. Sklaven, Juden und Christen). Das augustinische Christentum in seiner “Weltverneinung” brachte die Trennung zwischen Welt und Religion, die sich im Mittelalter zunehmend weiter ausformte (der Investiturstreit ist ein Ursprung der Trennung von Staat und Kirche, ausgelöst von der Kirche selbst). Viele spätere Neuheiten beruhen auf kontinuierliche Entwicklungen, die ihre Ursprünge im Denken des Mittelalters haben.

    4. Die vielen kirchlichen Verurteilungen im MA kommen auch daher, dass es einfach ein Volkssport war, den jeweiligen Gegner bei der kirchlichen Obrigkeit anzuschwärzen, um ihn loszuwerden. Zudem erfreute sich die Kirche eines Status der höheren Berufungsinstanz: Wenn man in einem Streit unterlag, zeigte man sich selbst bei der Inquisition an, weil man dort einfach bessere Chancen hatte, dort wieder freigesprochen zu werden, da man dort in der Prozessordnung eine Verteidigung hatte.

    Ich will hier aber nicht das Mittelalter schönreden. Es war zum Teil auch einfach eine Jauchegrube und ein verbohrtes Zeitalter, es wurde Mist gebaut ohne Ende, gar keine Frage. Aber das eben nicht nur. Was ich hier sagen will, ist, dass es keine einfachen Schemata gibt für diese Epoche. Was ich selbst im Studium lernen musste über das Denken dieser Zeit, war ausgesprochen spannend, teils sogar erfrischend und Horizonte öffnend.

    Es kommt halt drauf an, was einem wichtig ist. Wenn man nur mit dem Bauch denkt und Verbesserung des leiblichen Wohls als Maßstab nimmt, dann ist alles, was nach dem Mittelalter kam, natürlich besser. Wenn man andere Maßstäbe nimmt, sieht es wieder nicht so einfach aus. Den Beweis, dass die Vereinigten Staaten von Amerika der Welt in jeder Hinsicht besser getan haben als die Ritter der Stauferzeit, muss man mir noch erbringen.

    Ich würde sagen: Mittelalter = scheiße und gut zugleich. Die Welt ist komplex.

    Just my 5 cents…

  24. Ruben / 25. March 2009, 01:16 Uhr

    P.S.: Buchempfehlung:

    Kurt Flasch: “Das Licht der Vernunft. Anfänge der Aufklärung im Mittelalter”, C.H.Beck, 1. Aufl., 1997

  25. Christian / 25. March 2009, 01:56 Uhr

    @Ruben: Rückt auf meiner Bestell-Liste vor, das Buch. Hättest du den Kommentar ein paar Minuten früher geschrieben … Hab vorhin gerade meine diesmonatige Sammelbestellung rausgeschickt ;-)

  26. Erik / 25. March 2009, 10:47 Uhr

    @Ruben

    Das ist höchst spannend. Sehr aufschlussreich. Gehe ich aber recht in der Annahme, dass sich die meisten dieser bemerkenswerten Entwicklungen im Hochmittelalter (Also ich sag mal so zwischen 1000 und 1500) stattfanden?

    Nennen wir nicht hauptsächlich das Frühmittelalter (500 bis 1000, vielleicht noch die Völkerwanderung mit einschließend) “Dunkles Zeitalter”, weil es so gut wie keine Zeugnisse und Quellen aus dieser Zeit gibt? Also “Dunkel” gar nicht mal abwertend, sondern einfach nur “nicht sichtbar”. Ich selbst habe mal eine Arbeit über den Ursprung des Reichs von Kiev geschrieben, also so 9. und 10. Jahrundert. Das Problem dieser vormodernen Entwicklungen ist in der Tat, reliable Quellen zu finden. Dabei ist es gerade vor dem Jahr 1000 (auch noch danach) schwer, Sagen von Märchen und Erzählungen zu trennen. Die meisten Schriftstücke und Überlieferungen über die Zeit um die Jahrtausendwende sind doch erst im Spätmittelalter entstanden, wenn man mal genau hinsieht – also oft über dreihundert Jahre später.

    Vielleicht ist es das, was man mit Dunkel am Mittelalter meint: Die rein quantitativ signifikant geringere Überlieferung von Zeugnissen, als andere Epochen sie lieferten. Was ein Grund für das enorme Übergewicht der Aufklärung in unserer Auffassung von Geschichte sein könnte.

  27. BATMAN / 07. May 2009, 19:56 Uhr

    Der Gegensatz Mittelalter-Renaissance gehört hier natürlich rein, einfach schon, weil Renaissance klassischerweise mit dem Bewusstsein “Wir sind eine neue Zeit” verbunden wird. Bei Web 2.0 spürt man dieses Bewusstsein ebenso.
    Weitere Gemeinsamkeiten haben das Potential, herausgearbeitet zu werden.

    @Kommentare_von_Aleks: schöner Argumentationsstil, weil schön einfach

    Noch ein bisschen Bildungssenf:
    Barockmusik gilt mit ihrer Polyphonie und Kontrapunkten als komplizierter als die reine frühe Klassik. Klassik wurde “erfunden” für das aufsteigende Bürgertum, das eingängige Melodien wollte. Später kam dann natürlich genial Komplexität hinein.

  28. KungFool / 13. May 2009, 02:11 Uhr

    Ich habe mit Interesse alle Beträge zu diesem Thema gelesen und musste oft grinsen und relativ häufig nachlesen wovon hier überhaupt gesprochen wird, da ich dem Thema in keiner Weise nahe stehe. Leider habe ich ihn erst jetzt gesehen und habe damit wohl meine Chance verpasst in die aktive Diskussion mit einzusteigen.
    Ich möchte allerdings doch noch loswerden, was ich von alledem halte. Ich bin was das Thema angeht stark vorbelastet, da ich eine Bildung mit einem Schwerpunkt auf technologische Werte genossen habe, allerdings habe ich während meines Studiums auch der ein oder anderen philosophischen Veranstaltung beigewohnt; daher auch das gelegentliche Grinsen, wenn sich typische Diskussionsstile der Philosophen herausgebildet haben.

    Zunächst einmal folgendes: Die gesamte Prämisse des einleitenden Beitrags war die Verzögerung des technischen Fortschritts durch die kulturellen und politischen Begebenheiten während des Mittelalters.
    Die Frage danach ob das Mittelalter schlecht oder gut war spielt hier also im Grunde gar keine Rolle, sondern nur dessen Auswirkung auf unsere technologische Weiterentwicklung.
    Jetzt mag natürlich eine Antwort darauf lauten, dass auch heute noch geistige Errungenschaften des Mittelalters in moderner Wissenschaft von Wichtigkeit sind. Das bezweifelt auch niemand, die Gedanken sind nunmal frei und brilliante Geister hat es auch im Mittelalter gegeben, das kann auch noch so viel Unterdrückung nicht unterbinden. Die Frage die sich allerdings stellt ist: Wie viel mehr hätte in dieser Zeit erreicht werden können, wovon wir jetzt profitieren würden. Und auch wenn die Kirche kritisches und kreatives Denken nicht vollkommen verhindern konnte, so war es dennoch eine kontraproduktiver Lebensraum für Entwicklungen, erst Recht, wenn diese Entwicklungen die Machtstellung der Kirche zu gefährden drohten.
    Nun war aber ein großer Teil der Diskussion der Frage gewidmet ob das mittelalter “schlecht” war, oder nicht. Und dazu würde ich gerne auch meine bescheidenen Gedanken loswerden. Es ist m.E. vollkommen unmöglich eine solche pauschale Beurteilung zu fällen, da diese Beurteilung nicht objektiv gefällt werden kann. Man kann unterschiedliche Beurteilungsraster anlegen und danach objektiv Entscheiden, doch die Evaluierung solcher Raster ist wieder eine subjektive Angelegenheit, wie man im Laufe dieser Diskussion schön beobachten konnte und die in unterschiedlichen Kulturkreisen wohl noch weiter disharmonieren würde. Allerdings halte ich es auch nicht für ausreichend mit dem “Alles ist relativ”-Holzhammer die Diskussion ad absurdum zu führen, d.h. zu beenden.

    Das Thema “Sinn des Lebens” und “höheres Ziel der Menschheit als Ganzes” taucht zwangsweise auf, wenn es um die Beurteilung von Kulturen und Lebensweisen geht, so auch hier. Nun stellt sich auch hier das Problem, dass darüber wohl jeder anders urteilen wird, bis nicht der allwissende Supercomputer die 42 als Schlusswort unter die Debatte spricht. Ich tendiere daher dazu schlicht die jetzige Entwicklung des Menschen als die absolute Erfüllung des Lebenszwecks zu bezeichnen. Schließlich ist es egal was wir annehmen, es wird immer Argumente für und wider eine beliebige Annahme geben, und da für mich das hier und jetzt die größere Relevanz hat, als die Ansichten einer längst ausgestorbenen Kultur oder die hypotetischen Lebenszwecke einer so nicht existenten Menschheit. Es hat ja schließlich einen Grund, dass wir so leben wie wir leben: Es ist die Akkumulation und Selektion der Ansichten und Lebensweisen vergangener Kulturen.
    Nun mag man mir vorwerfen, dass diese Einstellung zur kulturellen Stagnation führt und wir mit dieser Einstellung wohl noch immer im Mittelalter leben würden. Würden wir wohl auch, würde darauf meine Antwort lauten, und es wäre überhaupt nicht tragisch.
    Die menschliche Entwicklung betrifft niemanden außer den Menschen selbst und unterliegt somit auch nur seiner Beurteilung.
    Ein System welches nur sich selber ohne jegliche Kriterien von außen beurteilt und keinerlei vorgeschriebene Aufgabe hat oder evidenten Zweck erfüllt kann somit niemals scheitern. Selbst die Existienz dieses System ist als solches vollkommen irrelevant.
    In diesem Sinne halte ich hier auch die viel-zitierte Zerstörung unseres Planeten für irrelevant. Der Planet wird von uns nicht zerstört, wir verändern ihn und werden lernen müssen damit umzugehen, ob nun durch weitere technische Errungenschaften oder oder durch eine radikale Änderung unserer Lebensumstände. Unser Planet hat umfangreichere Änderungen erlebt und letztenendes zur Entstehung der Menschen geführt. Vielleicht ist es also unser Daseinszweck die Erde auf eine komplett neue Epoche ohne Menschen vorzubereiten.

    Unter der Prämisse, dass wir heute auf dem globalen Maximum des Fortschritts stehen.. Moment, dazu eine Erklärung: Wenn wir uns heute nach allgemeiner Ansicht nicht auf dem Maximum befänden, so stünde es uns ja frei all die Atomkraftwerke zu verbuddeln, die Traktoren im Meer zu versenken, uns wieder zu Pferde fortzubewegen und alten Idealen nachzujagen.
    Also… Unter der Prämisse, dass wir uns auf eben diesem Maximum befinden, so muss man daraus folgern, dass die heutigen Bestrebungen der Weiterentwicklung die heeresten sind, die die Menschheit je gesehen hat, da sie ihren Ursprung in der am weitesten entwickelten Gesellschaft hat, die auf Erden je wandelte.
    Folglich würde ich die Zuträglichkeit einer Epoche der Menschheitsgeschichte auch an einem Vergleich zwischen unseren heutigen Idealen und den Idealen der früheren Epoche messen. Und da sieht das Mittelalter leider alt aus.
    So, das wars auch schon.
    Es würde mich freuen hier noch ein paar der hochklassigen Kommentare verfolgen zu können.

    Gruß
    KungFool

  29. Christian / 13. May 2009, 02:35 Uhr

    @KungFool: Danke für diesen schönen Kommentar. Tatsächlich wurde die Diskussion danach noch in einem weiteren Thread fortgesetzt: http://futur.plomlompom.de/archiv/2155/mittelalter-fortschritt-nachhaltigkeit-ii Viel Spaß beim weiteren Lesestoff ;-)

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