Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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[hier war mal ein Amazon.de-Affiliate-Banner, heute aber nicht mehr; frühere Amazon.de-Affiliate-Links im Blog sind nun nur noch unaffiliierte Amazon.de-Links]
(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
23:00 uhr: “Geometrie ohne Punkte, Geraden & Ebenen – Buckminster Fullers Theorie und Praxis einer Wissenschaft zum Selberbauen“ / Oona Leganovic
Erstmal gibt’s ganz viele geodätischen Kuppeln zu sehen, dann Buckminster Fuller, dann Fullerene, nun Perlenketten, Dreiecke, platonische Dreieckskörper; die unzerstörbare Stabilität des Dreiecks; Fünfecke in Dreieckskörpern, quadriertes Dreieck, Dreiecks-Mathematik, Verkreisung der Dreieckskörper; isotopisches Vektor-Equilibrium als Ersatz fürs Cartesianisches Koordinatensystem, zur Setzung der Welt in Tetraeder und Oktaeder; Cube-Oktaeder; Punkte, Geraden und Ebenen gibt es nicht, der Punkt ist kein Punkt, sondern ist ein Körper (der ja sonst schließlich auch aus Punkten bestehen müsste), und ein Körper kann nicht ein- oder zweidimensional sein; völlige Neustrukturierung der räumlichen Welt in Tetraeder, die aus sich nicht schließen könnenden Triangeln bestehen; die Unmöglichkeit absoluter Gleichzeitigkeit, therefore auch die Unmöglichkeit gerader Linien, es gibt keine kontinuierlichen, festen Körper, nur auseinander und in sich zusammen Fallendes, Oszillierendes, miteinander in Beziehung Stehendes; außerdem! Quantengeometrie, nicht der Punkt ist ihre erste Einheit, mit der zweiten Ebene als der Linie zwischen zwei Punkten, sondern die Ebene als erste Einheit und dem Winkel beider Ebenen als zweite, und dann dem Punkt als dritter; Bauen! auf Zug, nicht wie beim Legospielen auf Druck; wiederzufinden in der Biologie, im Zellskelett, in der DNA; Jitterbug-Transformationen …
So, irgendwelche Fragen?
(Erheitertes Geraune im Publikum.) Auch noch: aufgehitzte, fliegende,gigantische Kugeln (bzw. ursprünglich Ikosaeder, dann Frequenz immer weiter erhöht): schwebende Städte.
00:00 Uhr: “Have you hugged your Mac today? Ein audiovisuelles Live-Feature“ / Jochen Koubek, Ina Kwasniewski, Kai Kittler, Marcus Richter, Jens-Martin Loebel, Constanze Kurz
Die Geschichte von Apple? Anekdotische Personalisierung mit Zeitgeist über Nostalgie-Soundtrack. Erstes Apple-Logo: Sir Isaac Newton unterm Apfelbaum. Steve Jobs: “Wir werden ein Loch ins Universum reißen!“
Trotz allem immer noch Applaus für den Apple-Macintosh-1984-Werbespot.
Wow, die Leute applaudieren auch einem Bill-Gates-Zitat (nämlich, zum Vorwurf, Windows habe bei MacOS abgekupfert, dass bloß, weil Apple zuerst bei Xerox eingebrochen und den Fernseher gestohlen habe, sollten die nicht meckern, wenn Microsoft bei Xerox die Stereoanlage mitnehme)
Introducing Windows 95.
It has a trash can you can open
and take things back out of again.
Imagine that.
Noch mehr Applaus dann übrigens für die 2004er Parodie auf den 1984er Werbespot. “Well, whatever.“
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
21:00 Uhr: “Digital Identity and the Ghost in the Machine – “Once I Was Lost But Now I’ve Been Found“ / Max Kilger
Herr Kilger ist ein Ur-Computerist, der schon seit dreißig Jahren computert, hat einen Hasen, der an Ethernet-Kabeln knabbert und seinen Windows-Desktop schmückt, und, yay, zeigt gerade Ausschnitte aus der psychedelischen Ur-Paranoiker-BBC-Serie *The Prisoner* (und erzählt von einem ganzen Psychologen-Seminar, das sich mit der Serie auseinandergesetzt habe).
Kilger holt im Verlauf des Vortrags den George Herbert Mead raus und spricht vom (wenn ich mich recht an den Mead-Vortrag letztens inner Uni erinnere, dem über sich selbst reflektierenden) “me“, das durch die eigene Wahrnehmung dessen, als was die Welt einen wahrzunehmen scheine, entstehe, abgegrenzt vom (wenn ich mich an den Mead-Vortrag recht erinnere, dem eigentlichen handelnden) “I“.
Das “me“ als durch soziale Vermittelung sich bildende Identität-Konstruktion durch Anrufung durchs Außen werde in der traditionellen zwischenmenschlichen Kommunikation durch Informationsvermittelung über einen Kanal großer Bandbreite, wie er sich ausdrückt, geführt: eben nicht nur sprachlich, sondern auch über die körperliche Präsenz, die Stimme, die Kleidung – über all das vermittele sich einem in unzähligen Bereichen der eigene Status, und darüber die eigene jeweilige Identität. (Ja, jeweilige – der Mensch wechsele nämlich situationsspezifisch die Identität.)
In der Internet-Kommunikation sei diese Bandbreite nun sehr verengt – nicht nur bei text-only-IRC und E-Mail, selbst noch über Webcams ‘fehle halt was’, bzw. so einiges. Was zu einer viel größeren Unsicherheit und Unklarheit von Identitäten und ihren Beziehungen untereinander führe. Auch sei die Identitätsvariabilität im Netz-Kontext viel größer – eben noch sei man der eine im IRC-Channel, gleich ein ganz anderer im Online-Rollenspiel, und parallel zu alledem ja genauso noch ein offiziell für den Job surfender Büroangestellter (bzw., Publikumseinwurf, auch durchaus alles gleichzeitig in mehreren parallel offenen Fenstern).
Ganz davon abgesehen: Auch nicht zu vernachlässigen, die datenbankkompatible Identitätskonstruktion bspw. durch Staat, Geheimdienste, Wirtschaft – ein solches Profiling nimmt ja nicht nur die vorhandenen Daten zur Identitätsfestlegung einer Person zusammen, sondern ergänze auch, über simple Statistik, wie die Verdächtigungen bei der Rasterfahndung, wahrscheinliche Resteigenschaften in störenden Leerstellen, fremddefiniere somit die eigene Identität.
Dass alles in allem die wachsende Dominanz der Internet-Kommunikation in unserem Leben folglich langfristige Auswirkung auf unsere eigene Identitätsbildung, auf die Struktur unseres “me“, haben müsse, scheint naheliegend. Wie das dann konkret aussehen könnte, darüber kann man aber wohl nur mutmaßen, dazu kann Kilger auch nicht allzu konkret werden.
22:00 Uhr: “Learning cryptography through handcyphers – Shaping a digital future with ancient wisdom“ / Brenno de Winter
Der fröhliche Herr de Winter wieder, “Started programming at the age of 6“, diesmal ganz grundlegend zu den Grundlagen einfacher, ohne Computer anzuwendender Kryptographie für den Handgebrauch.
Er hält zuerst ein feuriges Plädoyer für den Einsatz von Kryptographie allgemein, nicht zuletzt aufgrund des von ihm als stasi-haft, aber extrem unprofessionell und korrupt geschilderten Polizei- und Geheimdienstapparates in seiner holländischen Heimat (man kann doch keiner Autorität vertrauen, die geheime Interna bei Gefährdung von Menschenleben unverschlüsselt auf Laptops und Disketten in der Welt rumliegen lässt bzw. über Kazaa verteilt, weil das zufällig falsch auf einem Computer in einer Behörde installiert ist, oder wo Politiker ihren Computer für kaputt befinden und ihn in Folge einfach auf die Straße stellen, mit unverschlüsselt-ungelöschter Festplatte mit Kiddieporn druff). Dann fängt er – ganz – am – Anfang – an, mit ROT13 (das trotzdem noch vor ein paar Jahren unglaublich, ahem, intelligent von Adobe verwendet wurde, um Dateien zu verschlüsseln, da muss man sich schon ein wenig wundern), dann Mono-Buchstaben-Substituion, dann endliche, dann unendliche Einmal-Blöcke, usw., arbeitet sich hoch zu immer komplexeren Verschlüsselungsmechanismen, die man dennoch ohne Computer per Hand recht einfach und ohne große Umstände benutzen kann.
Der de Winter meint jetzt, er wolle mit einigen anderen Leuten zusammen ein nutzerfreundliches privacy toolkit erbasteln, das dann rechtzeitig zur data retention in einem Jahr auf die nicht so krypto-affine EU-Bevölkerung losgelassen werden könne. Wenn man irgendwas beitragen könne, sei es Coden, sei es, Leute zusammenzuschlagen, solle man sich doch bei ihm melden.
Einer im Publikum warnt, die beschriebenen Kryptographie-Methoden seien viel zu leicht zu knacken, und man wäre vielleicht in ihrer Anwendung unsicherer als ohne sie, da man die verschlüsselte Botschaft dann für abgesichert halte. (Komme halt drauf an, vor wem man die Botschaft verschlüsseln wolle.) Nun sind die beschriebenen Methoden natürlich nicht unknackbare Verschlüsselung, außer vielleicht Einmalblöcke (einer im Publikum meint noch, Quantenkryptographie sei auch unknackbar, aber wie er sich das für den Handgebrauch vorstellt, sagt er leider nicht dazu).
Außerdem wird noch Bruce Schneiers Solitaire-Verschlüsselung empfohlen, bzw. es wird Neal Stephensons *Cryptonomicon* empfohlen, weil da Bruce Schneiers Artikel dazu im Anhang liegt.
Einer im Publikum fragt nach der Möglichkeit von Public-Key-Kryptographie per Hand – Antworten, auch aus dem Publikum: “RSA with really small numbers“ bzw. die Verwendung von sehr, sehr viel Papier.
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
18:00 Uhr: “Search Engines – Oracles of the Information Society“ / Wolfgang Sander-Beuermann, Hendrik Speck, Frédéric Philipp Thiele
Entwicklung des Suchmaschinenmarktes in den letzten Jahren, der nicht nennenswerte Anteil direkt über Suchangebote verdienter Gelder für die Suchmaschinenbetreiber (stattdessen: Werbung, affiliate links, notfalls in den Einnahmen auch den durchsuchten Seiten weggeklaut). Dem Ganzen entgegengesetzt das große Bibliothekensterben; die unheimliche Kontrolle Googles über den Markt, Zensur und Kooperation mit chinesischen Behörden … Die totale Aneignung öffentlicher Güter / Informationen durch ein kapitalistisches Unternehmen.
Dann: Suchtechnologie-Alternativen. MetaGer greift nicht auf eine Datenbank zurück, wie sein Erfinder erklärt, sondern durchsucht das Web quasi live, braucht allerdings auch dementsprechend etwas länger. Yacy dagegen ist eine unzensierbare P2P-Suchtechnologie.
Dann noch vorgestellt, ein paar hübsche Beispiele für Google Hacking, bzw. Profiling, Passwörter, Datenbankinterna und unbeabsichtigte Webcam-Einblicke in private Wohnzimmer, viel Applaus.
19:00 Uhr: “Podcasting Explained – The Realtime Podcast“ / Tim Pritlove
Der Herr Pritlove kapselt sich erstmal, nachdem er eine Viertelstunde schweigend vorne rumwerkelte, demonstrativ von der Außenwelt und dem Publikum ab, um vorne sitzend unter großen Kopfhörern seinen Podcasting-Meta-Podcast aufzunehmen, wenigstens visuell mit einer Slideshow begleitet, die man dann natürlich nicht sehen kann, wenn man den Podcast hören wird :-P (Nachtrag: Damn, MPEG-4 AAC ist laut Herrn Pritlove genau dazu fähig.)
Der verhaspelt sich ganz schön viel beim wortwörtlichen Ablesen der Sätze, die auf seinen Slides stehen. Ob er das danach rausschneiden wird? Ach nein, geht ja bestimmt gar nicht, wegen der Hintergrundmusik. Aber die Musik, die den ganzen Saal sanft ausfüllt, ist schön psycho-chillig. Ab jetzt will ich alle Vorträge mit Hintergrundmusik. Gibt dem Redner doch einen gewissen Rhythmus.
Als Podcast-Argumente bringt er an “Judging a voice is easier than to judge text“, “Voice much more personalizes content and makes it much more appealing to many“, kurz nachdem er auch politisches Potential des Mediums andeutete, na ich weiß ja nicht. Das politische Potential eines Mediums, das Kommunikation personalisiert, hat man ja bereits beim Fernsehen gesehen, ahem. Und “The podcasting is probably the usenet of audio“, wie er eben äußerte, seh ich aus ähnlichen Gründen ja schonmal gar nicht.
Und was der überzieht, oh je … Also ich geh jetzt. Will ja noch was von der Pause haben.
Vor 21:00 Uhr:
Nochmal auswärts gegessen.
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
15:00 Uhr: Karisu u.a. endlich mal wieder getroffen und ein umfangreiches Mittagessen (9 Chicken Nuggets & 1 Cola) eingelegt.
16:00 Uhr: “Was ist technisches Wissen? – Philosophische Grundlagen technischer Wissenschaften“ / Sandro Gaycken
Der Referent macht einen Abriss der wissenschaftsphilosophischen Vorgeschichte. Gescheitert: die universalistische Klassische Wissenschaftstheorie, Wiener Kreis, “isolierendes, partikularisierendes, physikalisierendes Wissenschaftsbild / Deterministisch, kausal, reduktionistisch“, ließ eigentlich nur noch die vor-quantenmechanische Physik zu, Biologie sei schon kaum noch wissenschaftlich, Geisteswissenschaften sowieso nur reines Gelaber.
Ab den 70ern dann auch eine Hinwendung zur Untersuchung der Sozial-, Geschichts- und Geisteswissenschaften. Aber erst seit kurzem auch eine nennenswerte Beschäftigung mit den Angewandten Wissenschaften und den Technikwissenschaften, erst jetzt, mit der Neuen Wissenschaftstheorie, die keinen universalen Wissenschaftsbegriff mehr dogmatisch für alle Felder festzulegen suche.
Technisches Wissen sei auf technisches Handeln aufgerichtet und in dem Maße auch durch Prozesse technischen Handelns geprägt, bspw. sozial, durch die Arbeitsumgebung (etwa in der Produktion von Technik im Rahmen von Wirtschaft, Universität, o.ä.; zu Open Source schweigt er sich aus) und -hierarchien, usw.
Technisches Denken überhaupt sei transparent zu machen, was ja in seinem Übergreifen auf andere Bereiche, etwa das Soziale, auch eine Fragestellung der Neuen Linken sei.
Publikum:
“Ist Informatik eine Wissenschaft oder eine Ingenieurskunst?“
Referent:
“Schwierige Frage.“
Mathematik hingegen “eine reine Wissenschaft“.
17:00
Noch einen Nachbarn getroffen. Wen man so alles auf so einem Congress trifft!
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
12:00 Uhr: “A way to fuzzy democracy – How modern communication can be used to transform the way we think about democracy and make our political decisions.“ / Svenja Schröder, Christiane Ruetten
Sehr lohnenswert.
System- und informationstheoretische Abstraktion moderner Demokratien; darüber Herausarbeitung von Lösungsansätzen zu ihren Problemen (mangelhafte wirksame Teilnahmemöglichkeiten des Bürgers, Verfälschung politischer Diskurse durch die Medien) über die Umstrukturierung moderner Demokratien hin zu variabler Fuzzy Logic statt einer binären Ja/Nein-Logik, die die relevanten Differenzen abschneidet und sowohl den Diskurs als auch den Entscheidungsprozess verfälscht; Modelle hierfür: Debian Voting Engine, Diskussionsregulierung bei Slashdot.
Vor mir wird den ganzen Vortrag durch auf einem Notebook ziemlich mittelmäßig Tetris gespielt.
13:00 Uhr: “10 Thesis on Informational-Cognitive Capitalism“ / George N. Dafermos
Ziemlich ärgerlicher und immer wieder thematisierter Mangel eines funktionierenden Mikrophons, schlechte akustische Verständlichkeit vermengt mit dem nicht gerade akzentfreien Englisch des Redners, der anhand antiker Mythen (Prometheus wird für die Verbreitung von Information göttlichen Copyrights bestraft, usw.) technologische und kapitalistische Ideologien hinterfragt, von “Was gut ist für die Wirtschaft ist gut für die Gesellschaft“ bis (yeah, auch so rum) “information wants to be free“.
Er belästigt das Publikum mit schweren Fragen:
“Anybody know McLuhan?“ oder “What is ideology?“
(Publikums-Antwort: “human brain hacking“)
Die gerade über “Information does not want to be free“ sich entwickelnde Publikumsdiskussion wäre gewiss ziemlich spannend, könnte man sie denn akustisch verstehen.
Woohoo! Jetzt gibt’s endlich ein funktionierendes Mikrophon. Und nun wird das marxistische “Hacker’s Manifesto“ diskutiert, äh, vom Publikum runtergemacht (”bullshit“), das laut Redner behaupte (so ganz so einfach kam mir das beim Anlesen des Werkes nicht vor), der Hacker ersetze den Kapitalisten in der bestimmenden Funktion im Kapitalismus.
“Information wants to be free“ erscheint nicht mehr haltbar, wenn man in Betracht zieht, dass, wie der Redner meint, unser ganzes Wirtschaftssystem inzwischen wie nie zuvor auf dem Rechtemonopol über immaterielle Arbeitsprodukte basiere. Über Lessigs Urheberrechtsreformwünsche: “That’s bollocks!“
Aber ich bleib dabei: Das Englisch des Redners ist leider etwas schwer zu verstehen. Auch jetzt mit Mikro.
14:00 Uhr: “Hashing Trusted Computing – Der aktuelle Stand“ / Rüdiger Weis
Toller Minix-3-Werbespot am Ende.
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
18:00 Uhr: CCC Jahresrückblick
Nicht allzu spannend. Zum Hacken von Nazi-Seiten gibt es leider nur ein “ich krieg das jetzt nicht mehr so zusammen“-Gestammel; und es wird erzählt, dass bei Projekt P viele der jugendlichen Besucher das Camp Discordia (plomlompom berichtete) für ein kommerzielles Internetcafé gehalten und versucht hätten, Geldeinwurfgelegenheiten an den Terminals zu entdecken.
19:00: “We lost the war – Welcome to the world of tomorrow“ / Rop Gonggrijp, Frank Rieger
Aua, das dürfte die interessanteste Veranstaltung des Tages gewesen, jedenfalls die mit dem heftigsten Diskussionsbedarf.
Die Redner, aus tiefer Depression heraus: ein fundamentaler Wandel in den letzten fünf Jahren. Krieg um privacy / Datenschutz / gegen die totale Überwachung und die Fusion von Kapital und Staat: verloren, endgültig durch den 11. September. Die Zukunft gehöre dem benutzerfreundlichen, komfortablen Polizeistaat. Auch wenn jetzt die Datenmenge der Überwachung aufgrund ihrer Größe noch nicht nutzbar sein dürfte – in zehn Jahren werde das ganz anders aussehen. Wenn Biometrie scheitere, werde man halt direkt zur Identifikation über die DNA schreiten. Wir täten nur in der Illusion einer Demokratie leben – die echten Entscheidungen würden nicht mehr auf demokratische Weise getroffen, es werde nur noch ein demokratischer Diskurs vorgespielt.
Was nun? Die Welt habe sich verändert, also müsse man sich auch selbst in der eigenen strategischen Ausrichtung ändern.
+ die Kämpfe durchdacht und mit Voraussicht und ohne Fundamentalismus herauspicken
+ politische Aktivisten jeder Couleur, so lange sie Veränderung weg vom Polizeistaat wollen, mit dem eigenen technischen Wissen unterstützen
+ technische Mittel produzieren, die gegen Repression verwendet werden können
+ die P2P-/Warez-Aktivisten kämpfen bereits an der kommenden Hauptfront: dezentralisierte Netze, Anonymisierung
+ den Anonymitätswunsch Anderer respektieren; daran auch bei der Verschlüsselung denken, man ist gerade darin nicht nur sich selbst, sondern auch den Kommunikationspartnern gegenüber verantwortlich
+ in der Öffentlichkeit positive Gegenbilder zur Verwendung der Anonymitätssoftware finden gegenüber den behaupteten der Kinderpornographie und des Terrorismus
+ die eigenen Mitmenschen umfassend informieren
+ nicht auf die eigene Überlegenheit verlassen, es arbeiten inzwischen auch genug recht intelligente Geeks für die Dunkle Seite
+ “not getting caught“ sei inzwischen einer der wichtigsten Missionsteile überhaupt
+ Humor sei eine große Waffe (Billionaires for Bush, Yes-Men, AdBusting -> also praktisch Kommunikationsguerilla, was hier favorisiert wird)
+ den Leuten hinter der Kamera und am Abhörgerät die Gewissheit austreiben, dass, was sie tun, ethisch vertretbar sei; ihnen das Gefühl geben, ein “creep in the hole“ zu sein, der schlimme Sachen treibe
+ die Überwachung umdrehen
+ alternative Gesetzesvorschläge finden für jeden Punkt finden, an dem das System kollabiert (ein “back firing“ gebe es bereits jetzt hie und da); man müsse an solch einem Punkt absolut bereit sein
+ radikale Gegen-Gesetzesvorschläge! (kein mildes Eingrenzen) Der Feind stelle unmögliche Forderungen und komme mit einem ihnen angenäherten Mittel davon, man müsse dasselbe tun. Nicht nett auf ein paar “issues“ rumplänkeln, sondern das Problem mit den angemessenen harten Worten angehen.
+ ihre Fehler, die immer wieder vorkommen, ausnutzen, “use their fuck-ups“, nachweisen, dass diese, die im Krieg gegen den Terrorismus aufkommen, gefährlicher seien als der Terrorismus selbst
+ sich strategisch aufs Allerschlimmste vorbereiten
+ den “Fun-Faktor“ nicht aus den Augen verlieren!
Frage ans Publikum, wer daran glaube, man könne einen positiven Zustand wie etwa 1997 zurückerreichen? Ein paar erhobene Hände. (Ist das rückwärtsgewandter Optimismus?)
Die heutige Technologie sei “Erich Honecker’s and Mielke’s dream“.
Datenbanken mit Datenmüll zu füllen, sei keine allzu wirkungsvolle Strategie, höchstens symbolischer Qualität.
Vom Publikum thematisiert: die Problematik der Struktur des Wir vs Sie (”They“); ob es einen “Feind“ als eine identifizierbare, homogene Gruppe gäbe oder wie sie das meinten, ganz so einfach wollten sie es sich dann doch nicht machen, aber so richtig klären können sie dann auch nicht, was genau sie mit ihrem “They“ aussagen wollen. Einmal fällt die vage Formulierung eines “secret government in Brussels“. Ein Publikumsbeitrag sieht die technische Elite, die ja auch auf dem Congress anwesend sei, als Teil des Problems, und erhält dafür viel Applaus. Allgemein viel Problematisierung der Technologie-Macht auf beiden Seiten (Publikum, Redner).
Und wieder aus der hintersten Ecke das Aufmerksam-Machen: dass man den Normalbürger ansprechen müsse, anstatt sich auf dem eigenen Technologie-Elite-Eifelturm diskursiv einzuschließen. (Hey, kommen gleich die Studenten und fordern, in die Fabrik zu gehen, um das Verhältnis zum Proletariat zu vertiefen?)
Felix von Leitner meint dann noch sinngemäß: Die Problematik nicht direkt dem Proletarier vermitteln, sondern den Medien.
Zum Ende dann noch aus dem Publikum:
“Look at the people who believed in Horkheimer and Adorno and look where they are now.“ (aua)
So, und jetzt geht mach ich für heute erstmal Schluss, ich muss noch zu zwei parallelen Abendgesellschaften im Friedrichshain.
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
Vor 18:00 Uhr:
Bei dem Kulla seinem Stand, wo überhaupt sehr viele kuriose Büchlein rumliegen, hab ich überraschenderweise das Buch Heft zu jenem hübschen Videovortrag von Falko Hennig, “Rausch, Wahn und Halluzinationen bei ‘Den Simpsons’“, gefunden. Da muss ich also erst zum Hackercongress, um an sowas ran zu kommen, pah.
Oh, und Blogger-Alarm, ich glaub, ich hab eben den Lumma durch die Gänge wandeln sehen.
Hihi, und der starbug ärgert sich gerade mit nicht funktionierender Windows-Software bei seinem ePass-Vortrag rum.
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
15:00 Uhr: Einstündige Pause
Kurz heimgefahren und Mittag (= Döner) gegessen.
16:00 Uhr: “Hacking Data Retention – How bureaucrats fail to fight terror“ / Brenno de Winter
de Winter liefert eine recht einschüchternde Auflistung von all dem, was die EU über die Verbindungsdatenspeicherung nun speichern und auch heranziehen möchte, ursprünglich nur zum Kampf gegen Terrorismus und Kinderpornographie, jetzt inzwischen allgemein gegen “serious crimes“, deren Definition den einzelnen Regierungen obliege, und zu denen die Musikindustrielobby natürlich auch gerne das Raubkopieren gezählt haben möchte. Zugleich: Die völlige Unsinnigkeit des Ganzen. Die Unnutzbarkeit, Unverwertbarkeit, Unspeicherbarkeit der monströsen Datenmengen, die zusammenkommen müssten. Und das Vorbeigehen an ja doch all den anderen Netzkommunikationsdiensten, deren Verbindungsdaten man nicht speichere bzw. auch schlecht speichern könne, da sie über P2P o.ä. funktionierten. Seine Ratschläge, was man alles tun könne, um nach wie vor all das zu umgehen (vor allem: zumindest virtuell aus Europa emigrieren, Server in Brasilien nehmen, und natürlich Tor & Co.); aber auch: die Mitmenschen dementsprechend schulen und ihnen die leichte no-brainer-Software installieren, die es inzwischen für privacy-Zwecke jeder Art gebe. Man sei darin gescheitert, politisch das Ganze aufzuhalten, jetzt könne man nur noch versuchen, es zu umgehen.
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
10:24 Uhr
Nur zehn Minuten Anstehen, gar nicht so übel. Drinnen ist’s auch noch nicht allzu voll, erst die Hälfte ist aufgebaut. Ein kleiner Rundgang offenbart im Hackcenter eine ungewohnt große Gemütlichkeits-Lounge, wo sonst eigentlich alles mit Rechnern vollsteht.
Vielleicht wird der Congress ja etwas entspannender (die letzten beiden Male, als ich teilnahm, war es ein ziemlich erschöpfendes, schlafphasenarmes dreitägiges Durchgehetze): zwei einstündige Pausen jeden Tag, keine (für Spätzubettgeher, und Spätzubettgehen wird hier gefördert) exzessiv frühen Vortragstermine, und es scheinen sich dem Programm nach auch nicht mehr allzuviele Top-Veranstaltungen zu überschneiden (man könnte es natürlich andersherum auch eine beklagenswerte Ausdünnung der Top-Veranstaltungen-Konzentration schimpfen).
Jetzt harre ich aber erstmal des zweiten Congress-Auftrittes von Joi Ito. Ein Schweizer oder Österreicher zwei Sitze neben mir reißt indes mehrfach enthusiastisch seine Hände von seinem Notebook hoch und ruft fröhlich “Goatse! Goatse! Goatse!” aus.
11:00 Uhr: Einführung
Tim Pritlove kündigt “150 talks this year“ an, betreibt rhetorische Hacker-Image-Politik (”what we are not: criminals / the all-mighty uber-geeks / fixing your Windows box [großer Applaus] / to be ignored“) und sucht nach Gegendefinitionen im Bereich der Wissenssuche und technischen Neugier, erklärt, “what we are“ (”concerned / committed / furious / not holding still / pretty damn serious about it“) und macht einen kleinen Geschichtsabriss des Congresses. (Was mich ja mal interessieren würde, das können mir irgendwelche CCCler bestimmt erklären, wieso war der Congress zwischendurch, als er eigentlich noch in Hamburg lokalisiert war, ein Jahr mal in Berlin?)
Ach ja, das Wireless-Internet geht angeblich, meint er. Mal sehn.
Die Startzeiten der frühesten Vorträge seien nach hinten verlegt worden, “to accomodate for the usual sleeping practices“ der Congress-Klientel. Man solle sich rücksichtsvoll gegenüber dem Gebäude (bcc) verhalten, insbesondre nicht mehr bedenkenlos Türen durchs wilde Durchstürmen zerstören, wie offenbar zuvor in beträchtlichem Umfang geschehen.
Auch unerlässlich ein Kommentar zu “Digital incidents“, d.h. den vom Congress ausgehenden Hackereien wie bspw. letztes Jahr, die solle man doch bitte, naja, unterlassen, bzw., naja, man könne ja erforschen aber bitte nichts kaputt machen, bzw. naja, man solle natürlich primär bei Maschinen, die dafür gedacht sind, erforschen, bzw. naja … (viel Gelächter in diesem Abschnitt)
Quasi resignierend dann der Verweis auf die “Hacker Ethics Hotline“, die man doch wenigstens, anonym und kostenlos selbstverständlich, anrufen solle, wenn man denn schon etwas anzustellen gedenke und sich so Fragen stelle wie “What happens if I 0wn that box now?“, “Is it morally justifiable to do this or that?“, “How much trouble will I cause if things go wrong?“ (wieder viel Gelächter)
Dann wird der Keynote-Sprecher angekündigt.
“Qualifications:” muss einen Night Club geleitet haben und Disk Jockey gewesen sein, außerdem (Publikumsgejubel): “University drop out“.
Keynote: Joi Ito
Ito: “Open Network is Open Society“
Das Internet sei als offenes weltweites Kommunikationsnetzwerk eine Grundvoraussetzung für die Demokratie des 21. Jahrhunderts. Doch es gebe Bestrebungen einflussreicher Firmen, von Microsoft bis zu den Telephongesellschaften, aus dem offenen Netzwerk eines oder mehrere geschlossene zu machen. Gefahr! Ein offenes Internet sei für die Demokratie der Zukunft wichtiger als das Recht, Waffen zu tragen, wichtiger, als das Recht, zu wählen.
“Democracy is Broken“ / “Voice is More Important than Votes“ /
Ja, von der Demokratie, in der man nur alle vier Jahre eine Stimme abgibt, hält ito nicht viel. Ihm schwebt ein Wikipedia-Ideal vor: Dort wären Abstimmungen nur in den allerschlimmsten Fällen notwendig, gemeinhin versuche man eher, über rationale Diskussionen zu einem Konsens zu gelangen. Eine derartige Demokratie der Vernunft wünscht sich Ito auch für die Gesellschaft. Und ein freies Internet, “free speech“ und, dadurch herbeigeführt, “The Competition of Ideas“, würden dies ermöglichen. Ito glaubt auch: “giving people voice also switches on their brain“, so soll das gehen. Wer in eine Diskussion gelassen wird, sieht sich automatisch gezwungen, seine Positionen zu rechtfertigen und daher über sie zu reflektieren?
Ja, man bräuchte nur auf die Kraft des Arguments vertrauen, scheint Ito sagen zu wollen. Er gibt ICANN als Beispiel, wo er ja auch drinne sitzt. Man bräuche doch bloß mal sich überwinden und hingehen zu deren öffentlichen Sitzungen und mit ihnen diskutieren, dann könne man auch Einfluss üben, die Machthaber seien durchaus der Vernunft zugänglich:
“Do Not Overestimate Conspiracies“, sagt er, Machtgier der Mächtigen sei einfach natürlich, aber da stehe weder eine Ethik, noch ein großes Konzept dahinter; aber er warnt eben dann doch auch vor organisierten Feinden der Demokratie:
“Monopolies Thrive in Free Markets (Aggregation of Power in an Open Market)“
Als die modernen Demokratien designed worden seien, hätten die Gründerväter leider nicht damit gerechnet, welche Macht das Monopolkapital dereinst akkumulieren würde, und daher keine ausreichenden Schranken eingebaut. Der unregulierte freie Markt sei der Demokratie gefährlich; Demokratie ist den Monopolkapitalisten ein Profithindernis.
Ito warnt auch:
“Profiling Is Not About Your Porn Habits“
Nicht das unsystematische Aufdecken netter kleiner privater Geheimnisse bei Eingabe des Namens bei Google sei die Gefahr, sondern das systematische “profiling“ durch Firmen und Geheimdienste, das sich dann wiederum darauf auswirke, wer den begehrten Job bekomme, wer in das Land einreisen dürfe, wer ein öffentliches Amt ausüben dürfe, wer beim nächsten Verhaften oder Abschlachten der Opposition drankomme.
Wichtig halt: Anonymität und freie Netze. Ihre Feinde, so Ito, argumentierten gegenüber den ahnungslosen, aufnahmebereiten Politikern wirkungsvoll mit den “Boogeymen“:
“People Who Share Are Pirates (Hollywood and Big Software)“
“Terrorist and Child Pornographers Use The Internet (Law Enforcement)“
“The Network Must Be Intelligent (Government Censors and Network Operators)“
Die Lösung im Kampf gegen die internet-feindlichen Feinde der Demokratie: Vertrauen in den selbstbewussten Einsatz rationaler Argumente gegenüber den Machthabern sowie:
“Support Free and Open Source Software and Sharing“
Open Source sei stark und auch äußerst business-fähig, was zu betonen Ito nicht müde wird in Anbetracht jener, die in Open Source ein kommunistisches Softwarekapitalismuszerstörungsmonster sähen.
12:00 Uhr:
“Understanding buffer overflow exploitation – The fascinating interplay of CPU, stack, C-compiler and shellcode in a nutshell“ / Christiane Ruetten
Besser gesagt, Overflow des völlig überfüllten Saales, in den der Mann an der Tür niemanden mehr reinlassen wollte.
Etwas über meinem (technisch sehr niedrigen) Niveau (und in Anbetracht dessen für mich auch zu schnell), aber eigentlich sehr gut, denn trotzdem hab selbst ich einen IMHO ziemlich guten Eindruck des Konzeptes bekommen :-)
13:00 Uhr:
“Hopalong Casualty – On automated video analysis of human behaviour“ / Ingo Lütkebohle
Stellt die aktuellen Ansätze der automatisierten Videoanalyse von (menschlichen) Bewegungen vor, die allesamt noch völlig unausgereift und unbrauchbar sind, zumal sie für bewegungsarme geschlossene Räume konzipiert sind, aber am liebsten für bewegungsreiche Menschenmassen angewandt würden. Was er auch betont: Der Mensch arbeite bei der kognitiven Verarbeitung von Bewegung mit umfangreichen Erwartungen und Vorkenntnissen, kognitiven Schemata, ein Problem, das von den bisherigen Ansätzen zur automatisierten maschinellen Bewegungsanalyse viel zu sehr vernachlässigt würde.
14:00 Uhr:
“Hacking CCTV – Watching the watchers, having fun with cctv cameras, making yourself invisible“ / Martin Slunksy, Adrian Dabrowski
Die Jungs von quintessenz.at stellen die Videoüberwachungssituation in Österreich vor, bspw. Überwachungskameras, deren Signale analog verteilt werden und die man ja nun mit verschiedenen Mitteln abzuzapfen versuchen könne. Das führt dann zu einem Exkurs etwa über die Umgehung analoger Störsignale, nicht vollends unverknüpft mit dem gleichen Problem auf dem Heimvideomarkt. Auch toll sind natürlich internetzmäßig ungesicherte Überwachungskameras, die man gleich direkt über Google erstöbern und zur eigenen Videounterhaltung nutzen kann. Und natürlich die tollsten Sabotagemethoden, einerseits Mängel wie die in der Vorgängerveranstaltung vorgestellten ausnutzend, andererseits aber auch mit so netten Instrumenten wie, ahem, Laserpointern und Infrarotkopfbedeckungen (die die Kameras ziemlich blöd interpretieren).
(Die Veranstaltung barg noch viele andere coole Sachen, aber ich war abgelenkt, da ich parallel rasch obige Zusammenfassung der Joi-Ito-Keynote aus einem gigantischen Notizenwust zusammentipperte.)
[Nachträglich ge-futur:plomt.]
Das war er also, der 21C3 / 21. Chaos Communication Congress. Jetzt beginnt für mich hoffentlich die Zeit der Regenerierung. Ganz schön derangiert vom Schlafmangel, dem Chaos und der ungenügenden Ernährung, bin ich trotzdem sehr froh, ihn dieses Jahr mal ‘richtig’ besucht zu haben (letztes Jahr hatte ich ja nur reingeschnuppert und mich anderthalb Tage ein wenig umgesehen). Vieles schießt mir jetzt durch den Kopf, es waren drei äußerst inspirierende Tage, ich hatte interessante Gespräche mit Menschen bis nach Österreich und der Schweiz, ich lernte sehr vieles, was mir vorher noch unklar oder ganz neu war, erweiterte meinen Horizont hie und da beträchtlich und atmete vergnügte die teils anarchistische Atmosphäre ein. Ein Gedankenknäuel aber, das am meisten in meinem Schädel pocht, sei hier entwirrt:
Die zweite Aufklärung
Unsere moderne Gesellschaft hat sich in einem unauflösbaren Maße von der Technik, vor allem der Computerwelt und dem Internet, abhängig und ihr Untertan gemacht, bringt ihr ein unglaubliches Vertrauen entgegen, ohne sich so recht die Mühe machen zu wollen, zu verstehen, mit wem sie sich da eingelassen hat.
Da ist es ungemein beruhigend, dass mit den Hackern eine technische Elite existiert, deren Verständnis der Technik mit einem gesunden Maße an Misstrauen (jede EDV-Lösung ist korrumpierbar), kreativer Anarchie (technische Lösungen gegen ihren Zweck für unerwartete andere interessante Sachen missbrauchen) und aufklärerischem Sendungsbewusstsein (durch medienwirksame Hacks der Öffentlichkeit die Gefahren ihrer Ignoranz gegenüber den Unsicherheiten der modernen elektronischen Informationsgesellschaft vorhalten) einher geht. Das haben mir, der ich mich gar nicht zu dieser technischen Elite zählen kann, die Vorträge, Workshops und Aktionen auf dem Congress noch einmal sehr erquickend vor Augen geführt.
Aus einigen Vorträgen, beispielsweise dem von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und dem von Star-Blogger Joi Ito, war ein sehr interessantes demokratisches Verständnis des Netzbürgertums herauszuhören.
In den Artikel-Diskussionen der Wikipedia zeige sich, dass Änderungen an kontroversen Artikeln weniger über sture polarisierte Mehrheitsverhältnisse als über intellektuelle Konsensfindung unter Vertretern nach wie vor unterschiedlichster Positionen gelängen, ohne dass dies technisch erzwungen werden müsse.
Und in der Blogosphäre werde der Notwendigkeit einer repräsentativen Demokratie, in der die Mehrzahl der Bürger für sich nicht über die geistige Kompetenz zur Auseinandersetzung mit politischen Fragen verfüge, der Gegenbeweis angetreten. Denn jeder Blogger verlinke einen anderen Blogger, der spätestens dann wieder einen anderen verlinke, der sich mit dem gerade umstrittenen Thema sehr gut auskenne und dessen Überlegungen dann ins eigene Blog übernommen würden.
Den beiden Positionen entnehme ich: Die Netzbürger seien vernunftbegabt genug, mündig genug, dass die Netzöffentlichkeit selbst Konsensfindung (nicht von außen/oben auferlegtes Manufacturing Consent!) betreiben und sich selbst regieren könne. Es brauche keine netzfernen Autoritäten oder Repräsentanten. Vielleicht ist das zu optimistisch.
In der ebenfalls sehr optimistischen Aufklärung von vor zweieinhalb Jahrhunderten gab es eine Elite von Denkern, Philosophen, Wissenschaftlern, Literaten, die ihre Gesellschaft aus der Unmündigkeit herausführen wollten. Der Mensch sei vernunftbegabt und das genüge, die alten Fesseln von König und Kirche abzuwerfen. Einige von ihnen fanden sich in Logen wie den Freimaurern oder Geheimgesellschaften wie dem Illuminatenorden zusammen und wurden von außen als verschwörerisch und kriminell betrachtet.
Die damalige Aufklärung vertraute blind in einen materialistischen, maschinen- und technikgläubigen Rationalismus, was sie dann leider spätestens im aufgeklärten zwanzigsten Jahrhundert, dem Auschwitz-Jahrhundert, ad absurdum führte; wie das genau vonstatten ging, hierzu sei die Lektüre der “Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer empfohlen.
Zurück zum Congress:
Heute haben wir mit dem Volk, was sich größtenteils auf dem Congress einfand, wieder (in etwas kleinerem Maßstab) eine aufklärerische Bewegung, der Ignoranz verhasst ist und die die Menschen auffordert, sich intellektuell mit dem, was ihre Welt formt, auseinanderzusetzen. Wieder werden ihre Vertreter von außen teilweise als anrüchig oder kriminell verdächtigt. Und wieder pflegen sie eine große Begeisterung für die Maschine und die Technik. Nur diesmal werden Maschine und Technik nicht als die unfehlbaren Allheilmittel verstanden, nach denen das menschliche Denken und die Gesellschaft sich auszurichten hätten, nicht als Ziel, sondern endlich als Mittel, das sich positiv anwenden lässt, zur Wissensfindung (Wikipedia, Blogosphäre), Politik (Indymedia), Kunst (wie die AVIT-VJs eindrucksvoll auf dem Congress demonstrierten), aber auch negativ, für Überwachung, Manipulation und fehlleitende Sicherheitsillusionen.
Die zweite Aufklärung versucht, einige Macken der ersten Aufklärung auszubügeln.
Vielleicht sind die Hacker irgendwann den damaligen Freimaurern (oder gar den – tatsächlichen – Illuminaten?) vergleichbar. Der Chaos Computer Club als Freimaurerloge?
Fortsetzung folgt:
Eine kleine Presse- und Blog- und Foto-Schau zum 21C3 werde ich auch noch nachreichen.
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