Das nächste große Ding. Neues von den Fronten des Fortschritts
Kathrin Passig, Holm Friebe, 2007
Das nächste große Ding ist von der Aufmachung über die Autoren bis zur Eigenwerbung auf den letzten Seiten klar als neues Produkt des
ZIA-Franchise erkennbar. Es dürfte so wie andere literarische Werke der
Zentralen Intelligenz Agentur vom
Riesenmaschine-Blog bis zum
Wir-nennen-es-Arbeit-Manifest rasch seine willigen Abnehmer finden. Das Buch enthält eine Sammlung von so kurzweiligen wie auch klugen, in Themenwahl und Methode eigenwilligen Zukunftstrendstöbereien, die Kathrin Passig und Holm Friebe als Autorenduo die letzten drei Jahre im Rahmen einer Kolumne für die Berliner Zeitung verfassten.
Es taugt gewiss gut als leichtere Vor- oder Begleitlektüre zu
Wir nennen es Arbeit, da es im Verlauf seiner Texte viele derselben Themen, Ideen und Beispielfälle des digitalen Lebens und neuartigen Individualwirtschaftens anstuppst wie jenes, dabei aber frei von dem größeren Argumentationsgerüst und der rechtfertigungsmäßigen Bodenfliesenlegung durch breitere akademische Streifzüge, die
Wir nennen es Arbeit bereithält.
Das nächste große Ding ist dagegen ein ungeordneteres und somit vielleicht freier verwendbares Sammelsurium von Beobachtungen, Konzepten und Befindlichkeiten, die die Digitale Bohème anfeuern.
Ich habe es gleich nach dem Kauf in zwei Stunden rasch runtergelesen und dabei dem einzelnen Kolumnentext natürlich weniger reziptive Sorgfalt zukommen lassen, als er in einer Einzellektüre erfahren hätte; es gefiel mir, durch diesen Haufen ganz bewusst so schnell durchzusausen, dass die einzelnen Texte ineinander verschwimmen, manches untergeht und dafür anderes blitzartig als besonders interessant, lektürestoppend hervorzustechen vermag. Mein Durchsausen war mir eine Methode der Fischerei nach spannenden
Memen in einem Gesamt-Text-Meer, und ich wurde sehr fündig. So blieben Konzepte haften wie der Begriff "Godot-Trend"; die psychologisch beunruhigende Analyse vom
neuen Weiß als der Hauptfarbe der digitalhippen Gegenwart von iPod bis zum Webdesign; die "Privatsphäre" als kulturhistorisches Kuriosum der Vergangenheit sein lassen und die Web-2.0-Gesellschaft ganz als neuen Möglichkeitenraum des sozialen Miteinanders
embracen (in oberflächlicher Text-Referenz sogar
zu dieser Veranstaltung);
Das nächste große Ding lässt sich gut in Ergänzung oder als Vorübung zum großen ZIA-Manifest über die Zukunft der Arbeit und die Digitale Bohème, Wir nennen es Arbeit, lesen.
oder aber auch die Parallelisierung a) des in der Zeit des Leihens statt Habens unzeitgemäßen festplattenheimischen
Hortens von Musik und Filmen mit b) der Tabuisierung des Wegwerfens von Essen in der bundesdeutschen Nachkriegsgeneration, beiderlei begründbar in der Jugenderfahrung eines historisch längst vergangenen Mangels des jeweiligen Materials.
Die früheren Texte im Buch haben als Zukunftstrendstöbereien von vor zwei drei Jahren noch einen geschichtsdokumentarischen Charakter; die neuesten sind bereits post
Wir nennen es Arbeit und dementsprechend neu-anregend. Man möchte am liebsten aufspringen und die diagnostizierten Paradigmen sogleich in ein eigenes Wirtschaftens- / Lebensverhalten praktisch umgewandelt ausprobieren. Und dann, in ein zwei Jahren, wenn das auch schon wieder ein alter Hut ist, gibt's hoffentlich zur Erneuerung der solcherlei besorgten Antriebskräfte ein Nachfolgebuch als Droge?
Sunday June 24, 2007
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(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
Kommentare
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Das “Horten von Musik†ist in der Tat in Konsum-Verhaltensproblem, mit dem die Plattenfirmen momentan so gar nicht zurecht kommen; allerdings scheint im Bereich digitale Musik eh langsam einiges in Bewegung zu kommen:
http://blog.datenschmutz.net/2007-06/die-zwei-ungleichen-teile-der-musik-von-werner-reiter/
ritchie: Sieht man das Horten wie im Buch als eher psychologisches Generationenproblem an, kann es aussterben; einen guten Grund, das Horten sein zu lassen, müssen die in deinem Artikel auch benannten Streaming-Systeme natürlich dann voraus haben IMHO, sei er in der Bequemlichkeit und Billigkeit (gegenüber der Vorratshaltung auf einer eigenen Platte), in der Musikgeschmacks-Empfehl-Vernetzung oder der größeren Auswahl … Dann gibt’s vielleicht ‘ne Chance.