Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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Tag 2, 17:32 Uhr: Politik 2.0 – Wie verändert das Netz die politische Kommunikation und Partizipation?
Nachdem Falk Lüke das Panel mit ein bisschen Bitte-um-Handzeichen-Umfragespaß am Publikum (wer unter den anwesenden Bloggern bloggt politisch etc.) eröffnet hat, geht’s gleich los mit der “Netzferne der Politik” (Lüke).
Nico Lumma erzählt vom SPD-Parteileben im kuscheligen Ortsverbandstreffen einer parteipolitischen Kultur, deren Angebote an Partizipation so 19th century sind und den Sprung ins Web 2.0 eher nicht wagen, außer in Wahlkampfzeiten zu Publicity-Gründen; außerhalb dieser diskursive Vielstimmigkeit eher nicht gewünscht, individuelles Parteimitgliedsbloggen imkompatibel mit parteipolitischer Identitätspolitik, “Weblogs laufen der Grundidee einer Partei eigentlich zuwider”, Angst der Parteien vor Kontrollverlust. Markus Beckedahl zieht auf mit einer Gegenwart des gesellschaftlichen Wandels, der Individualisierung und der projektbezogenen Arbeit und der Inkompatibilität der Parteien hierzu, bei denen läuft’s immer noch über ein lebenslanges Karriere-Engagement, ersma Hochackern in den Apparat, keine Angebote temporärer politischer Beschäftigung.
Ungeahntes Lob für Volker Kauder, denn auch wenn der noch so stammtischig rumblubbern mag, er ist einer der wenigen Politiker, die auch nach dem Wahlkampf noch einen regelmäßigen und engaging Podcast besabbeln, PlauderKauder, offenbar mit einigem Unterhaltungswert (wird wohl auch gern subvertierend ge-remixed). Ansonsten ist die deutsche Politik gerade mal “angekommen beim Blackberry”, “bisschen mehr mobil erreichbar per E-Mail”, ansonsten keine Zeit, jedem Web-2.0-Trend hinterherzueilen, ansonsten beschränke sich der politische Betrieb außerhalb des Wahlkampfes neotechnologisch aufs Versenden von Word-Dateien. Nur wenige Möglichkeiten, mit Politikern digital in Kontakt zu treten: ePartizipation, eine digitale Petition einreichen, aber deren Wirkung fragwürdig; zivilgesellschaftliche Projekte, “Kandidatenwatch”, deinem persönlichen Abgeordneten eine Frage stellen und der Praktiktant antwortet (aber dass natürlich auch wieder wahlkampfbeschränkt). Lumma findet auch die Netzfremdheit der deutschen Politiker gut ablesbar an den realitätsfernen Ideen zu Netzregulierung und Netzüberwachung von Schäuble & Co.
“Kann man nicht was Cooleres machen als was wir bisher vom Politikbetrieb kennen?”, und auch auf der SMS-Wand tut sich ein gewisser Unmut über die bisherige Konzentration des Panels auf die parteipolitische Ebene auf: “Dieses parteizentrierte Gerede saugt doch! Politik geht auch anders.”; “Bloggt DARÜBER (vorratsdatenspeicherung.de) bis Mittwoch!”; “Alle sind von der komplexität der neuen globalen bedingungen überfordert. Auch politiker. Warum sollten ausgerechnet die uns dann regieren?” (weitere Highlights: “digg für politik: sabine christiansen”; “eine e-petition GEGEN Wahlcomputer?” <- der braucht ‘ne Weile)
Als problematisch anerkannt der Vergleich hier und drüben: in den USA andere parteipolitische Struktur, Demokraten und Republikaner funktionieren mehr als Plattformen für eine große Vielfalt von Meinungen in raschem Wechsel; größere Individualisierung sowieso, auch gerade individuelle Finanzierung (Spendensammeln übers Netz wichtig); auch natürlich andere Diskussionskultur; “Wir kriegen es hier nicht hin, obwohl wir alle ein Weblog haben, einen vernünftigen Diskurs aufzubauen zu wichtigen Themen” (Lumma)
sva fordert von der Diskussion “mehr Meta”. Beckedahl zieht eine Analogie zwischen notwendiger Entwicklung der Politik und notwendiger Entwicklung der Medien, das Neue funktioniert nicht mehr nach den alten Top-Down-Strukturen, da muss mit mehr Offenheit gelebt werden und es wäre doch besser, sich da so früh als möglich drauf einzustellen und es zu trainieren und so evolutionäre Verbesserung über Trial & Error zu betreiben und Strategien für eine offenere Diskussionskultur und höhere Beteiligung zu entwickeln, als dann beim Wahlkampf 2009 in diesen Dingen kräftig auffe Schnauze zu fliegen.
Ein dol2day-Mann springt im Publikum auf: “politische Prozesse funktionieren sehr langsam”, und wenn man von Web 2.0 rede, müssen man politisch von Web 2020 reden, dann wäre die jetzige Web-2.0-Generation in der Poliitk angelangt, das dauere halt seine Zeit (pass mal auf, Junge, wenn die Singularität kommt, jeht datt janz schnell, dann sitzt COLOSSUS auf der Regierungsbank und macht die Politik … aber ich schweife ab) Beckedahl findet diese Wartezeit schlicht und einfach zu lang in Anbetracht dessen, dass relevante Weichen für die Zukunft gestellt würden, Überwachungsstaat, Urheberrecht etc., das wird von den jetzigen Fünfzigjährigen gemacht, die schon damit überfordert sind, ihren Browser zu bedienen.
Die SMS-Leinwand unterhält weiter mit “Der Lumma kann Bier trinken und gleichzeitig Kaugummi kauen. Respekt”, worauf der Lumma dem Publikum die Zunge mit dem Kaugummi auf der Zungenspitze rausstreckt.
Der Bundessprecher der Grünen Jugend erhebt sich aus dem Publikum und verwendet in seinem ersten Satz den anerkannt falschen männlichen Genus für “Blog”, was zu einer Welle gegen ihn wogender Empörung im Saal führt, nur mit Müh und Not kann er sein Leben retten. Vom Podium: “Jan Philipp Albrecht will heute noch einen Besucherpeak auf sein Blog bekommen”, was Jan Philipp Albrecht eigentlich äußerte, ging in meiner Wahrnehmung unter.
Lumma bemäkelt mangelnde politischer Diskussionskultur in Blogs, auch anhand mangelnder Kommentarkultur bei politischen Einträgen etwa bei ihm oder gerade auch beim, da sind sich alle einig, kaum genug zu lobenden netzpolitik.org von Markus Beckedahl. Seitens Politikern dagegen mangelnder Wille an ergebnisoffener Diskussion, einfach nur regurgiating the Parteimeinung; und so ein Politikerblog kann auch gar nicht, wie von Einigen gefordert, super authentisch und individualistisch runtergetextet werden, anstatt die anerkannten Parteiformeln runterzusemmeln, meint Jan Schmidt, für alles Andere werden sie nämlich tags darauf zusammengehauen, vonner BILD z.B. Lumma findet, man sollte den politischen Diskurs zu den Netzthemen erstmal unter den Nicht-Politikern solide etablieren, ins Volk tragen, “die Politiker würde ich erstmal per se abschreiben”, dagegen die eigenen Mitmenschen sensibilisieren, mobilisieren, eine interessierte Öffentlichkeit (z.B. zur Vorratsdatenspeicherung) zustande kriegen.
Der Parteibuch-Marcel meldet sich zu Wort und findet, für alle politisch engagierten Blogs komme letztlich raus “die Politiker verarschen uns nach Strich und Faden” (er meint wohl die Erkenntnis einer Diskrepanz zwischen dem öffentlich oben Gesagten und dem tatsächlich unten Erfahrenen). Falk nutzt diesen Einwurf zur Gelegenheit, sich darüber zu freuen, heute vormittag bei Udo Vetter gelernt zu haben, Bloggeräußerungen als subjektive Meinungsäußerungen zu akzeptieren.
Jan Schmidt wirft in Anbetracht eines Mangels an Lobby der freien Netzkultur (späterer Einwurf von irgendwoher: es gibt bundesweit genau zwei bezahlte Halbtagslobbyistenstellen für die freie Netzkultur, vom FoeBuD nämlich) die Frage auf, wie Blogs Lobby-fähig machen; zu einem Thema Zeugs bündeln / aggregieren wie bei netzpolitik.org; aber Markus “netzpolitik.org” Beckedahl meint schon, direkt von Politikern kriege er da keine Anfrage, sei nur immerhin eine Karteileiche bei den Grünen; wenn jemand ab und zu mal bei netzpolitik.org mal reinschaue, dann vielleicht mal Journalisten. So kommt man dann allerhöchstens mal sehr indirekt an die Politik ran.
Web 2.0, um politische Transparenz zu schaffen: “Web 2.0 ist doch dafür da, alles transparenter zu machen, und zwar nicht nur wir!” (Lächeln.)
Irgendwie fällt der Begriff “TED-Demokratie”. Allgemein ständig das Bedürfnis aus dem Publikum eines alternativen politischen Raums jenseits der offiziellen Sphäre, durchzuführen durch das Netz. Ja macht mal ;)
Torsten Kleinz: Herangehensweise des Vorwurfs der Netzferne der Politik hier komme ihm arrogant vor, analog könne der Landwirtschaftsverband von Herrn Seehofer verlangen, sich ein Schwein zu halten; erwarte von Bloggern, sich zu bemühen, zu verstehen, wie Politik jenseits von aufpoppendem Web 2.0 funktioniere. Lumma beharrt darauf, von der Politik sei zu verlangen, dass sie das in ihren Entscheidungen behandelte Medium besser verstehe, sieht da aber zur Zeit “nur eine gewisse Merkbefreitheit”, da ist der “digital divide”; Entscheidungsträger sollten sich mit den Sachen auseinandersetzen oder sich von Experten leiten lassen, die sich damit auseinandersetzen.
Ralf Bendrath macht nochmal ‘n Aufruf, über die Vorratsdatenspeicherung bis Mittwoch zu bloggen (wenn der Referententwurf ins Kabinett kommt); kriegen wir es hin (quasi als Politkraftprobe der deutschen Blogosphäre?), fragt er, bis dahin noch so viel Aufmerksamkeit zu generieren, damit es Einfluss hat auf die Entscheidung? Falk antwortet auf den Aufruf hinterhältig: “Und wo müssen die Leute jetzt hinklicken?”
Der Abschluss: Lumma ist mehr für langfristigen Aktivismus, kurzfristig erringe man da die Aufmerksamkeit nur bei den bereits Bekehrten. Beckedahl hält wie ein guter Prediger ein leidenschaftliches Plädoyer für politische Partizipationsmöglichkeiten im Web 2.0 schon jetzt, man solle einfach das, was man könne, gut machen, ein Plakat designen, einen Podcast machen o.ä., und das verbreite sich dann schon viral. “Es war noch nie so einfach, sich politisch zu engagieren.”
Die SMS-Leinwand zeigte, was das Publikum während dem Politik-2.0-Panel wirklich beschäftigte.
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