Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
Themen-Einstiege
Berichte, Lektüren
24c3 #22: geschlechtspolitisches Sich-um-Kopf-und-Kragen-Reden (2)
Günter Komoll, egal
Antisozialdemokratische Utopie Grundeinkommen (7)
Martin Werner, Philipp, Klaus Gieg, ...
Afrikas größter Exportschlager: die Supercomputerisierung der Erde (3)
Christian, Christian, sunny
Englisch
Deutsch
Für alle von mir verfassten Texte auf dieser Seite gilt folgende Lizenz:
[hier war mal ein Amazon.de-Affiliate-Banner, heute aber nicht mehr; frühere Amazon.de-Affiliate-Links im Blog sind nun nur noch unaffiliierte Amazon.de-Links]
(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
Charlie Stross mag ein respektabler Science-Fiction-Autor sein. Aber es ist Vorsicht geboten, wenn er in seinem Blog beginnt, mit Zahlen als Anlass futuristischer Gedankenspielereien rumzuwirbeln. Er nimmt die Zahlen gerne als Konstanten, die von den Potentialen, die er aus ihnen heraus oder in sie hinein spekuliert, unbeeinflusst bleiben. Was meist sehr unzureichend ist: Jetzige absolute Grenzen müssen keine morgigen absoluten Grenzen sein, wenn die spekulierte Entwicklung das Spielfeld wesentlich verändert. Umgekehrt: Ein Potential in Entwicklung A kann für Entwicklung B durch die veränderten Entwicklungsbedingungen empfindlich gehemmt sein. In der Weise sehe ich auch sein gerade durch die technophile Blogosphäre durchgereistes Rechenspiel ‘mit dem Geld, das der Irak-Krieg bisher gekostet hat, hätte die amerikanische Regierung auch den Mars kolonisieren können’ eher skeptisch.
So traurig das auch klingen mag: Es dürfte für einen demokratischen Nationalstaat sehr viel leichter und naheliegender sein, massig Kohle in der Materialschlacht eines Krieges zu verheizen, als damit die feuchten Träume einiger Futuristen zu befriedigen. Ersteres ist profane, dreckige und möglicherweise katastrophal fehlgeleitete Realpolitik. Aber es lässt sich politisch sehr viel einfacher in einem attraktiven Verhältnis von Notwendigkeit und Durchführbarkeit verkaufen als vermeintliche futuristische Wohlfühl-Projekte. Angebliche oder tatsächliche gefährliche Feinde mit erprobten Mitteln in ihre Schranken zu verweisen lässt sich leichter politisch verkaufen als etwas bisher Unerprobtes-Abgehobenes mit nur spekulativen Gewinnaussichten, das vielleicht für die meisten Bürger nett anzuschauen wäre, aber den wenigsten von ihnen auf kritische Weise bisher gefehlt hat. Ein Krieg vor allem, einmal begonnen, lässt sich nicht so einfach ohne möglicherweise katastrophalen Schaden abbrechen, bloß weil er zu teuer wird. Ein utopisches Projekt dagegen, das sich abbrechen lässt ohne Schaden außer dem schlechten Gewissen, bei Abbruch das bisher ausgegebene Geld verschwendet zu haben, müsste sich für jede neue Finanzspritze erneut rechtfertigen.
Dass ein Staat eben mal so gigantische Mittel für ein utopisch-futuristisches Großprojekt durchgepeitscht kriegt, das kommt vielleicht mal unter Extremsituationen wie dem Sputnik-Schock im Kalten Krieg oder aber in zentralistischen Diktaturen ideologischer Utopien vor. Im Allgemeinen wird der Volkssouverän aber in Einsparung eines Krieges wohl eher dafür votieren, infolge die Steuern zu senken, als den Mars zu besiedeln. Das mag für den großplanerischen Futuristen frustrierend sein, der dadurch langfristige Gewinne für alle verhindert sieht, die die kurzfristigen Einsparungen bei weitem übersteigen. Die technokratische Alternative allerdings wäre undemokratisch.
Was für eine Enttäuschung! Woher soll denn dann jemals die Mittel-Bündelung für so tolle Projekte wie etwa die Besiedelung des Mars kommen? Nun, entweder aus erfolgreichen technokratischen Diktaturen wie China, oder aber aus dem Privatvermögen der Superreichen.
Zum Beispiel: Robert Zubrin bezifferte vor zehn Jahren die Initialkosten für eine fortwährende Serie bemannter Marsmissionen, die langsam in eine Kolonisation übergehen würden, bei 25 bis 50 Milliarden US-Dollar. Ein älterer, vergleichsweise unnötig aufgeblähter Plan der NASA (bevor sie in Teilen auf Zubrins wesentlich effizienter erscheinenden Plan “Mars Direct” umsattelte) lag beim Zehnfachen, 450 Milliarden US-Dollar. (Ungefähr diese Zahlen nimmt auch Stross, wobei er dem letzteren Plan meines Erachtens unzulässig viel Gewicht einräumt; dessen Zahlen waren vor zwanzig Jahren aktuell, bevor der Plan zurecht als unnötig überfrachtet zu den Akten gelegt wurde.)
Auf der Liste der hundert reichsten Menschen des Planeten wären drei jeweils für sich schwer genug, um Zubrins Plan in der teuersten Version zu finanzieren, und vierzehn wären jeweils für sich reich genug für die billigere Variante. Nimmt man die Hälfte der hundert reichsten Supermilliardäre zusammen, könnte man zweieinhalb Mal die (obsolet teure) 450-Milliarden-US-Dollar-Variante finanzieren.
Dass die Superreichen immer reicher werden, heißt auch, dass ein einziger Superreicher einen Zivilisationssprung demnächst zum Privatvergnügen finanzieren könnte.
Schon jetzt investieren Medien-Millardäre wie Richard Branson (Virgin) und Jeff Bezos (Amazon.com) in die private Raumfahrt, während Peter Thiel (PayPal, Facebook) sein Privatvermögen auf Altersbekämpfung/Immortalismus und Singularität verwettet. Gut, keiner von denen gehört zu den Top 100 (auch wenn sie vielleicht die Vorhut der Top 100 in ein paar Jahrzehnten sein mögen), aber auch sie sind für sich jeweils einige Millarden Dollar schwer, und wenn sich einige solcher Köpfe verknüpfen, könnte da durchaus auch rasch eine billige Zubrin-Mars-Mission rauskommen. (Deshalb auch war der Google-Aprilscherz mit der zwischen den beiden Google-Gründern und Richard ‘Virgin’ Branson gesponsorten Marskolonisation so grausam. In der zugehörigen FAQ wurde übrigens Zubrins “Mars Society” mit ernstgemeintem Dank verlinkt.)
Let’s draft a multi-billionaire for [favorisiertes utopisches Projekt]!
Kommentarfunktion für diesen Artikel geschlossen.