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Tierrechtler fördern Tierfleischzüchtung

Was in Sachen Biotech die nächsten Jahrzehnte auf uns zurollt, dürfte in der meisten Menschen Vorstellungskraft des Realistischen kaum mehr reinpassen. Sicher, es gibt einige duldbar nach Science Fiction klingende schauderhafte Schimären, die aber in Verkennung der realen Potentiale und vor allem als Warnsignal und Verbotsmotivator gepflegt werden: zum Beispiel der lebende Ganzkörperklon als menschliches Ersatzteillager. Als ob die Klontechnik es nötig machen würde, einen Organismus vollständig nachzubauen, um an einige spezifische seiner Maschinenteile heranzukommen. Das Versprechen der Stammzellenforschung ist viel mehr, jedes gewünschte Gewebe direkt nachzüchten zu können. Ersatzteile, sicher, aber kein Ersatzteillager; genausowenig, wie wir als Buchverkäufer ganze Bibliotheken physisch teuer auf Lager halten müssten, wenn wir jeden Titel on demand in zufriedenstellender Form ratzifatzi drucken könnten.

Der Durchbruch dieser Idee des therapeutischen Klonens in den Köpfen und Denkstrukturen der Menschen kommt aber vielleicht gar nicht durch irgendeine revolutionäre neue Klontherapie. Medizin ist toll aber langweilig und schlimmstenfalls eklig, so lange sie uns nicht direkt positiv betrifft. Nein, die Form, in der die Idee dahinter vielleicht am Frühesten positiv die Weltanschauungen erschüttern mag, liegt viel näher am konsumistischen Alltagsbedürfnis und nennt sich in-vitro meat: genetisch tierisches Fleisch, das jedoch für sich ohne Tier drumrum gezüchtet wird. Wird im Labor bereits gemacht, hat jedoch noch nicht Marktreife erreicht. Trägt hieraus fortgedacht in industrielle Massenproduktion jedoch allerlei aufregende Versprechen in sich:

Vegetarier könnten natürliches Fleischgewebe verzehren, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, denn es musste ja kein zusätzliches Tier dafür sterben oder leiden. Die direkte Massenproduktion von in-vitro-Fleisch würde durch viel technischen Effiziensteigerungsspielraum die bisherigen Methoden wahrscheinlich schnell outcompeten. Das wäre einerseits gut, weil — diese Behauptung kommt mir immer mal wieder unter, ohne dass ich ihre technischen Details im Kopf behalten würde — die bisherige Massentierhaltung nicht nur die Tiere schmerzt, sondern auch die Umwelt durch diese und jene Ausstöße massiv belasten soll. Und das wäre andererseits gut, weil sich so nahrhaftes Fleisch viel billiger in größerer Masse produzieren ließe und so für sehr viel mehr Bäuche zur Verfügung stünde, die sich jetzt nur unzureichend ernähren können, Dritte Welt und so. (Und außerdem könnte man dann vielleicht auch mal ohne schlechtes Gewissen Menschenfleisch kosten, vielleicht sogar mit dem eigenen Gencode oder dem der Freunde, mjam-mjam!)

Schicke Idee, aber was treibt mich nun zu der Annahme, dass sie früher die Menschen begeistern wird als es das therapeutische Klonen kann? Naja, die letzten Wochen geisterte mal wieder ein kleiner Hype dazu durch die Medien hier und da, der sein Zentrum in einer auf den ersten Blick ziemlich kuriosen Aktion fand: Die Tierrechtsfanatiker von der PETA, die gerne mal den Holocaust mit Massentierhaltung gleichsetzen und mit ideologisch nahestehenden Terrorgruppen interessante Verbindungen unterhalten, haben in einem Augenblick geistiger Klarheit ein $1.000.000-Preisgeld denjenigen versprochen, die zuerst bis 2012 in-vitro-Fleisch marktkonkurrenzfähig machen. Das mag ein symbolischer Betrag sein, aber wenn Tierrechtler und/oder Ökologismus sich mal ausnahmsweise hinter Biotech-Revolutionen stellen, anstatt Genfoodparanoia-äquivalenten Terrorismus dagegen zu fordern/fördern, ist das IMHO ein sehr gutes Zeichen :-)

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Wednesday April 23, 2008

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Kommentare

  1. nexuslex / 23. April 2008, 21:39 Uhr

    Fleischdesign, aha, und “Soylent Green ist Menschenfleisch” ist dann ein Slogan, keine Parole. Wunderbar. Ich brauche Fischstäbchen und Fleischwurst eh nicht als ganzes Tier…

  2. Ralf G. / 24. April 2008, 07:27 Uhr

    Tja, wer da nicht gleich an Soylent Green denken muss, hat den Film nicht gesehen.

    Ich frage mich, warum sich die PETA darauf einlässt, an den Produktionsmethoden zu doktern. Das Grundproblem ist doch die ebenso primitive wie unangenehme Angewohnheit der Menschen, aus irgendwelchen Gründen Tiere essen zu wollen. So wird das nichts mit dem neuen transhumanen Lebewesen, wenn deren geistiger Rohstoff Mensch nicht einmal diesen primitiven Impuls im Zuge eines geistigen Fortschritts aufgeben kann. ;)

  3. Christian / 24. April 2008, 08:15 Uhr

    @Ralf: Glaubt man den Berichten, gab’s da organisationsintern wohl auch so manche Kontroverse zu. Was sollte allerdings an dem Bedürfnis progressiv überwindenswert verbleiben, Tierfleisch zu verzehren, wenn sich dieses ohne weiteres Tierleid züchten ließe? (In letzter Konsequenz braucht der Post-Human (z.B. nach Kurzweil) freilich gar keine organische Nahrung mehr von Außen in sich aufnehmen, synthetisiert sich in seinem Metabolismus alles Nötige in einem abgeschlossenen Kreislauf.)

  4. Markus / 24. April 2008, 17:38 Uhr

    Das mit dem schnellen “outcompeten” sehe ich kritisch. Selbst bei exponentieller Verdrängungskraft bleiben unsere (europäisch/amerikanischen) Märkte zunächst auf die tierische Nahrungsmittelproduktion eingestellt.

    Allensfalls der Ersatz von Schweinefleisch, deren Grundnahrung Weizen, Soja etc. mittelfristig zu teuer wird, könnte hierbei Spielraum liefern. Bis dahin wird man sich man wohl genetisch an den Tieren versuchen..

  5. Ralf G. / 24. April 2008, 21:39 Uhr

    @Christian Fleischlappen die künstlich vor sich hin wachsen und man isst sie dann?

    Das ist nicht “post-human”, eher “pre-human”, Technik als Lösung zur Befriedigung animalischer Triebe. Wir bleiben die gleichen rücksichtslosen “Tiere”, bedienen uns lediglich subtilerer Methoden. Kann man schon als Fortschritt sehen, aber warum wehren wir uns gegen die Einsicht, dass es keinen objektiven “progressiven” Grund gibt, Fleisch zu essen, und daher jegliche Aktivität in der von dir berichteten Richtung überflüssig ist?

  6. Christian / 24. April 2008, 22:08 Uhr

    @Markus: Ok, bezüglich der Adoptionsgeschwindigkeit kann man skeptisch sein. Allerdings, wie ich schon im Text schreibe, der Spielraum zur Steigerung der Effizienz und dadurch Wirtschaftlichkeit der Produktion dürfte verglichen zur Beibehaltung der alten Methoden enorm sein.

    @Ralf G.: Warum sollte es einen “progressiven” Grund geben? Person x mag nunmal gerne Fleisch essen, dazu braucht sie keinen ‘progressiven’ Grund. Man könnte nun ein moralisches Argument gegen den Verzehr von Fleisch aufgrund des dadurch verursachten Tierleids zu konstruieren versuchen, aber worauf soll sich so ein Argument im Fall von in-vitro-Fleisch noch stützen?

    Freiheit ist nicht, nur das zu tun, wofür man einen ausreichend guten Grund hat, sondern nur das nicht zu tun, wogegen es einen ausreichend guten Grund gibt ;-)

  7. Erik / 25. April 2008, 21:02 Uhr

    Es gibt einen ausreichend guten Grund, Fleisch zu essen! Der Menschliche Verdauungstrakt ist als ein Ergebnis der Evolution zur Zersetzung von Fleisch geeignet. Das allein ist schon Grund genug. Und jede moralische Debatte setzt erst nach der Feststellung dieses Faktes ein.

    Aber um die Fundamentalisten ruhig zu stellen, kann man auch ganz pragmatische Gründe anführen. In vielen (vor allem kalten) Gegenden der Erde ist eine ausgewogene pflanzliche Ernährung schlicht nicht möglich. Die Eskimos zum Beispiel kennen außer Gräsern und Flechten gar keine Pflanzen. Dass man auch in Deutschland die Früchte essen kann, die notwendig sind, um als Vegetarier oder Veganer alle nötigen Proteine und Fettsäuren aufzunehmen, die man zum Leben braucht, ist eine gigantische Logistik notwendig. Was das mit aller daranhängenden Industrie für Schäden am Erdklima auslöst, wurde ja inzwischen erkannt.

    Die Möglichkeit Fleisch zu züchten, beinhaltet ja evtl. auch die Möglichkeit Pflanzen oder ganz neue Ersatzlebensmittel in lebensfeindlichen Umgebungen (z.B. Wüsten) zu züchten.

    In meinen Augen ein vielversprechender Wirtschaftszweig!

  8. Klaus Gieg / 26. April 2008, 20:29 Uhr

    Ich bin mal wieder begeistert, denn ich habe die Entwicklung von in-vitro-meat erst für die Zeit nach 2015 erwartet. Wenn es nun schon früher, in nur vier Jahren (!) so weit sein sollte, dann her damit.
    Man verbinde das noch mit dem Fabber/Materie-Kompiler/Nahrungsreplikator und Schluss ist mit dem heutigen Einkaufsstress ‘freu’.

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