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21:18 Uhr: Tom Hodgkinson, “How To Be Free”
Leben ist Müßiggang, und die Feinde des Müßigganges sind Reformation und Industrialisierung. Mit den Sex Pistols zurück ins Mittelalter.
Tom Hodgkinson trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift “Work Kills” und macht es mir schwer, in seinen Redefluss hinein zu gelangen. Ob das nun an seiner Geschwindigkeit liegt, wie Holm Friebe in der Ankündigung des Vortrags prophezeiht, da bin ich mir nicht sicher.
Das Idlen
Hodgkinson erzählt von seinem Arbeitslebenslauf. Der ihn nicht zufriedenstellte. Was ihn dann zufriedenstellte, war etwas anderes. Das Idlen. Das von meinem Wörterbuch mit “Faulenzerei” und “Müßiggang” übersetzt wird. Auf den Begriff brachte ihn Dr. Johnson. Dr. Samuel Johnson, der ja allgemein bekannt ist für den Satz “No one but a block-head ever wrote, except for money.” Dr. Johnson, der seine Essays unter der Überschrift “The Idler” herausbrachte. Der olle
Hodgkinson will also ein Idler sein. Und schaut sich um, was für Kontexte das Idlertum historisch so für und gegen sich hatte.
Die Feinde des Idlens
Ein Feind des Idlertums war die Industrielle Revolution. Die Industrielle Revolution, sagt er, war eine Revolution der Industrie gegen die Idlers. Der prä-industrialisierte Bauer / Weber / whatever lebte im paradiesischen Urzustand des Idlertums. Dann kam die Vertreibung aus dem Paradies. Hodgkinson zitiert hierzu lautstark William Blake. Imposant, imposant.
Was war noch ein Feind des Idlertums? Die Reformation! Er reißt eine sehr versimpelte Version (nein, er bemüht sich nicht, die Prädestinationslehre zu erklären) von Webers protestantischer Arbeitsethik als Lästervorlage ab. Er macht ein ganzes religionsgeschichtliches Panorama auf, von vor bis nach der Reformation. Von den Bettlerorden, die sich dem Arbeitsfluss der Gesellschaft in der Berufung aufs Hippie-Vorbild Jesus verweigerten, bis zu den antikatholischen Puritanern Cromwellscher Prägung, die alles, was Spaß machte, für arbeitsfeindlich und verbietenswert hielten.
Die Freunde des Idlens
Nun kennen wir die Feinde des Idlertums. Aber wer sind seine Freunde? Hodgkinson hat sich in Kropotkin und John Ruskin verliebt und möchte zurück ins mittelalterliche, ländliche Bauernkollektiv. In das Gildenwesen, das noch die Community des eigenen Berufes hochhielt, nicht das kompetitive Gegeneinander-Wirtschaften, das nach der industriellen Revolution modisch wurde. Er verfällt in ein nicht unzuckeriges Bild des Mittelalters. Die sozialen christlichen Werte damals, vor den kaltherzigen Kalvinisten. Das Mittelalter, es war … ein prä-industrielles, prä-technologisches, prä-kapitalistisches Paradies. Und! Das Mittelalter, es war grün! Man baute “organic food” an und beschränkte sich energiemäßig auf “wind power”. “Wind power”!
(Irgendwo hab ich neulich, ah, ich weiß, bei Niels Boeing im Technology-Review-Blog, gelesen, dass “die Kultur des europäischen Hochmittelalters im 13. Jahrhundert einbrach, weil die damalige Energieversorgung zu stagnieren begann. Die Zivilisation jener Zeit (die immerhin etwa doppelt so viele Menschen wie in der Antike ernährte) gründete sich laut Braudel auch auf der konsequenten Ausnützung des Mühlenprinzips – doch dessen Ertrag ließ sich irgendwann nicht mehr steigern. Vermutlich hätte Europa damals nur weiter wachsen können, wenn die Dampfmaschine 500 Jahre vorher erfunden worden wäre.”)
Ja, gut, Hodgkinson gibt zu: Er “romantisiere” das Mittelalter. Aber das sei mal bitter nötig gewesen! Und zwar in Anbetracht der nicht minder ideologischen Finsterzeichnung dieser Zeit, die aus der industrialisierten Neuzeit heraus getroffen worden sei. Ja, gut, mag ja stimmen, denke ich mir, dass die Dark Ages in der Allpracht ihrer Gruseligkeit auch ein nachträgliches Konstrukt aus der Renaissance ff. sein mögen. Aber hey, die Industrialisierung und Technologisierung, gegen die Hodgkinson mit seinem Mittelalter-Ideal wettert, so wie deren Apologeten einst gegen das Mittelalter gewettert haben mögen. Nun. Haben sie nicht das Leben der Menschen in vielfacher Hinsicht verbessert und erweitert? Medizinisch, kulturell — und ja, auch politisch?
Die Meriten einer historischen Perspektive
Dann versucht Hodgkinson, zum Punkt zu kommen, worum es ihm eigentlich gegangen sei (und das ist dann, wenn man sich auch nur ein winziges Bisschen damit beschäftigt hat, schon wieder trivial): Dass Arbeitsbegriff und Arbeitsethik des industrialisierten Zeitalters, eine Einstellung von “self-imposed slavery”, die uns das Leben vermiese, historisch recht jung und auch recht gut eingrenzbar bedingt seien. Dass sie nicht in Stein gemeißelt sind.
Sein Gegenentwurf: Er gefällt mir insoweit, als er versucht, die Einteilung der Lebenszeit in durch Arbeit verdientes eigenes Leben einerseits und an Arbeit zu veräußerndes Nicht-Leben andererseits aufzuheben. Aber seine konkrete Ausformung macht mich skeptisch, seine Stadtfeindlichkeit erscheint mir ein Dünkel, seine Technologie-Feindlichkeit inkohärent (Holm Friebe macht ihn später zurecht darauf aufmerksam, dass auch der Bauernspaten schon Technologie ist; soll man am Ende zwischen guter und schlechter Technologie scheiden?), und irgendwie scheint mir selbst sein Idlerei-Begriff problematisch. Denn ist das Ideal des Müßiggangs zwischen Flaniererei, Arbeitsverweigerung und Punk nicht ebenso ein historisches Konstrukt wie die Arbeitsethik?
Ja, richtig, ich habe eben noch Punk erwähnt. Zum Ende seines Vortrags zeichnet er ein Bild revolutionistischer Anti-Arbeits-Ethiken der Moderne. Er spannt es von Guy Debord bis “Malcolm McLaren”. Er nimmt sich ein paar Sex-Pistols-Lyrics vor und interpretiert sie arbeitsbegriffs- und religionsgeschichtlich bis zurück in sein Mittelalter-Ideal. Und dann verliest er ein Manifest. Sein Manifest. Gut leben und Ukulele spielen, den Boden beackern und Kompost machen, das Leben ist absurd.
Ich weiß bei alledem nicht. Es hat schon seine guten Gründe, warum manches manch anderem historisch unterlegen war. Und man kann den Kapitalismus nicht mit einem Rückdrehen der Uhr outperformen. Das hat auch schon Marx gewusst.
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