Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
Themen-Einstiege
Berichte, Lektüren
24c3 #22: geschlechtspolitisches Sich-um-Kopf-und-Kragen-Reden (2)
Günter Komoll, egal
Antisozialdemokratische Utopie Grundeinkommen (7)
Martin Werner, Philipp, Klaus Gieg, ...
Afrikas größter Exportschlager: die Supercomputerisierung der Erde (3)
Christian, Christian, sunny
Englisch
Deutsch
Für alle von mir verfassten Texte auf dieser Seite gilt folgende Lizenz:
[hier war mal ein Amazon.de-Affiliate-Banner, heute aber nicht mehr; frühere Amazon.de-Affiliate-Links im Blog sind nun nur noch unaffiliierte Amazon.de-Links]
(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
(Bloggen vom Chaos Communication Congress)
14.00 Uhr: The Grim Meathook Future
Der Redner, Joshua Z. Ellis, der rhetorisch und multimedial gut einzuheizen weiß, warnt vor einem techno-fixierten futuristischen Optimismus; die Zukunft müsse nicht notwendigerweise technologisch bestimmt sein, nur weil in der westlichen Welt die wesentlichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte vom technischen Fortschritt geleitet worden seien. Ellis stellt ein überverbrauchendes Techno-Amerika einem fucked up steinzeitlichen Gegenwarts-Afrika entgegen. Ahja, dem Großteil der Menschheit geht es also scheiße und sie haben ganz andere Sorgen als die neuesten Gadgets oder Web 2.0; Höhepunkt ein Bild von Marie Antoinette als Kirsten Dunst in Versailles mit der Unterschrift “Let them eat iPods”, ja, doch, das hat was. Aber: Globalisierung swings both ways, siehe 9/11, siehe kommende Wirtschafts- und Flüchtlingskrisen aufgrund kaputter Ökologie, siehe jetzt schon: New Orleans.
Dann sind die Slides aus und der Redner muss ohne Multimedia-Show weiterreden. Es wird tatsächlich (auch wenn es bisher schon eine sehr unterhaltsame Show war, fraglos) ein wenig inhaltlich interessanter. Er macht sich Gedanken über die konkrete Ausformung kommender Krisen in Amerika.
Die Unmöglichkeit der von billiger Energie und Normalo-Touristen lebenden Wüstenstadt Las Vegas, wo sein Haus stehe, in einer kaum vermeidbaren afrikanischen Zukunft. Die Fragwürdigkeit von Revolutionen durch Nano- und Biotech in einem völlig energieprekären Zeitalter. Übrigens, das macht ihn dann jedenfalls schon wieder sympathisch, findet er es durchaus nachdenkenswert, Nuklearenergie aufgrund ihrer relativen Umweltfreundlichkeit (bei Risikoabwägung) gegenüber anderen Energiequellen zu verwenden; aber genauso gut könnte man auch in ganz Nevada Solarenergieanlagen auslegen und damit das halbe Land versorgen.
Es sei doch so, wenn die Techno-Freaks der Gegenwart für die Zukunft relevant bleiben wollten, müssten sie ihr Augenmerk von der Entwicklung von consumer goods, coolen Gadgets und Web-2.0-Applikationen weg lieber auf die Entwicklung von Technologien richten, die bei Gefahr der grim meathook future relevant würden: konkrete Nachträglichkeitstechnologien, Wasserfilterung, etc.pp., und nicht in die Digital-Futurismen eines Joi Ito oder Cory Doctorow.
Naja, inhaltlich viel interessanter dann das Publikumsgespräch. Jacob Appelbaum gibt ein massives Gegenwort. Ellis leide unter dem üblichen Problem des Amerikaners in Europa, sich beim hiesigen Publikum durch ein wenig unreflektiertes Amerika-Bashing anbiedern zu wollen, ohne sich ernstzunehmende Gedanken über die Probleme zu machen; New Orleans sei eben auch primär ein Klassen- und Rassismusproblem gewesen und würde uns, die Techno-Elite, faktisch kaum betreffen. Er sei da gewesen. Wer da erschossen worden sei, war arm und schwarz. Dass wir als relativ Bessergestellte zu handeln gezwungen wären, weil es uns bald auch betreffen würde, sei eine Illusion; “the wealthy will just leave, and the people left behind” werden sich gegenseitig zusammenschießen.
Ein Slawe (also ein sich auch wirklich vordergründig als solcher identifizierender, mit post-socialist und Russenmütze) fügt hinzu, “techno-skepticism has its limits” und findet des Redners Polemik inhaltlich besorgniserregend dünn, sie würde sich auf nett klingende Selbstironie beschränken; notwendig sei “more theory, more critical theory”; man müsse Amerika für den praktischen approach danken; man schaue sich nur an, wie gut und einflussreich etwa die Free-Software-Bewegung praktisch funktioniere; was es brauche, sei nur mehr theoretische Reflektion.
Eine andere Stimme hält das Bild der faktischen politischen Irrelevanz von Web 2.0, Blogs und Joi-Ito-Entrepreneurship für zu einfach; Blogs in Russland etwa seien ein hochrelevanter Kanal der freien Berichterstattung und Kritik. Nur, so entgegnet Ellis, habe die Kritik auch faktisch etwas politisch bewirkt?
Kommt der Slawe wieder und meint, in einer digitalen Welt könne Information, Idee, Wissen sehr wohl etwas bewirken. In der digitalen Web-2.0-Welt könne da durchaus Veränderungspotential bestehen, und solcherart könne auch das Entrepreneurship eines Joi Ito etwas bewirken. Einfach nur pauschal selbstironisch digitale Technologien für unnütz zu erklären, sei ziemlich dünn.
Und auch der Appelbaum springt noch einmal kurz auf, um dem Redner entgegenzuhalten; wenn er die Arbeit der Cory Doctorows dieser Welt für völlig konsequenzfrei halte, liege er dead wrong. Ellis darauf noch einmal: maybe I am wrong. Applebaum: Definitely. Schönes Schlusswort!
Andere Berichte:
Trust Us!
Kommentarfunktion für diesen Artikel geschlossen.
Danke für die schönen Berichte, die es ungemein erleichtern, nicht nach Berlin zu fahren (wäre eh nur für die Gesundheitskarte gekommen). Hier nur ein Hinweis: der im Bild gezeigte Haken ist US-Norm, der EU-weit genormte Haken (ähnlich den genormten EU-Paletten) sieht anders aus. So fängt es an mit den Unterschieden.—Detlef