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22C3 #18: Fazit

[Nachträglich ge-futur:plomt.]

Ohne Zweifel war der Congress wieder einer der Höhepunkte des Jahres. Ein kleines, viertägiges Bombardement mit neuen Themen und Wissensvertiefungen in alten Themen. Auch ein Bombardement mit neuen Eindrücken? Vielleicht nicht ganz so sehr wie die letzten Male, aber dazu später.

Ausdünnung oder nicht?

Ich finde nicht, dass eine Ausweitung auf vier Tage das Vortragsprogramm auf unschöne Weise ausgedünnt habe.

Es trat viel seltener der Fall ein, dass sich zwei oder mehr Veranstaltungen, die ich unbedingt sehen wollte, überschnitten – was vielleicht auch an einem geschickten inhaltlichen Arrangement der Vorträge innerhalb des Fahrplanes gelegen haben mag.

Jedoch die Situation, dass in einer Stundenschiene gar keine Veranstaltung lief, die mich ausreichend interessierte, um sie mir anzugucken, trat nur selten auf und nicht öfter als die letzten beiden Male. Im Verhältnis zur höheren Vortragsmenge und in Anbetracht dessen, dass diesmal stets viel weniger Vorträge pro Stunde parallel liefen, scheint’s mir sogar einen deutlichen Rückgang solcher ‘Leerlaufzeiten’ zu geben.

Auch die mit der Ausweitung auf vier Tage einhergehende Entspannung des Congress-Tagesverlaufs durch gleich zwei einstündigen Pausen pro Tag und einen etwas späteren Beginn finde ich gut, auf diese Weise war man als Vortrags-Hüpfer nicht mehr ganz so gehetzt und brachte zur Konzentration auf die einzelnen Vorträge etwas mehr Energie und Wachheit mit.

Rauch-“Verbot”

Nun, nennenswert gestört hat es mich als Nichtraucher nicht. Allerdings fand ich die (nicht vollständige, aber erhebliche) Abwesenheit sonst omnipräsenten Cannabis-Geruches etwas schade, im Gegensatz zur bloßen Nikotinverseuchung der Luft ist der nämlich auch für einen Nichtkiffer wie mich durchaus sehr wohlriechend und erfrischend.

Offenbar gab es ja doch etwas viel Aufregerei bei Leuten, die missverstanden, das Rauchen im Gebäude sei autoritär überprüft und durchgesetzt verboten worden – was ja gar nicht der Fall war. Es gab nur einen energischen Appell mit der einzigen Drohung, wenn der Appell nicht ausreiche, die Situation zu entspannen, müsse man halt nächstes Jahr sich über etwas mehr Strenge Gedanken machen. Vielleicht gehört zur Selbstregulierung, die der Unterlassungs-Appell erreichte, auch, dass man sich selbst gegenüber eine gar nicht vorhandene Verbots-Autorität konstruiert, dass sozusagen die congress-äußeren Herrschaftsverhältnisse, die anstatt eines Vertrauens auf selbstregulative Kräfte und Verantwortungsbewusstsein das autoritär durchgesetzte Verbot stellen, sich auch in der Denkweise seiner Teilnehmer noch auf dem Congress reproduzieren.

Preis

75 Euro für die 4 Tage war ich durchaus bereit und fähig, zu zahlen. Dass Studenten keine Ermäßigung kriegen, ist klar, schließlich dürfte der Anteil von Studenten auf dem Congress nicht gerade gering sein, so dass sich eine Studentenermäßigung schon erheblich auf die Kostenkalkulation auswirken und den Preis für die Nicht-Studenten noch weiter in die Höhe treiben dürfte.

Jedoch auch Arbeitslosen den vollen Preis aufzuzwängen, ist schon nicht mehr ganz so schön. Allerdings hörte ich gerüchteweise, in Härtefällen sei durchaus ein Verhandeln möglich. Nichtsdestotrotz setzt ab einer gewissen, und sei es nur offiziellen, Preis-Höhe natürlich ein Ausgrenzungsmechanismus ein. Tim Pritloves Bemerkung beim Closing Event, man wolle den Congress auch weiter gegenüber anderen Szenen öffnen, dürfte im Verbund mit weiteren Preissteigerungen in der Zukunft durchaus auch eine Aussage darüber treffen, welchen Szenen gegenüber man sich nicht zu öffnen gedenke. Der etwas verquaste alternative Typus, der eigentlich seinem Selbstverständnis nach kein Hacker oder Technikexperte ist, aber trotzdem den Geist des Congresses anziehend finden mag und daher vielleicht mal reinzuschnuppern gedenkt (um mit einem Haufen neuer Interessen, Vorhaben und Kontakten wieder rauszukommen), dürfte sich das ab einer bestimmten Preisklasse durchaus zu verkneifen wissen.

(Insofern wäre eine Schnupperpreislösung denkbar, aber wie sollte man die Schnupperbadges von den normalen Badges abgrenzen? Keinen vollen Zugang zu allen Veranstaltungen mehr gewähren? Die dafür nötigen Kontrollstrukturen würden den Congress glaubich ganz enorm in seinem Geist schädigen.)

Qualität der Vorträge

Einen richtig schlechten Vortrag hab ich nicht gesehen (naja, ok, vielleicht bei den Lightning Talks ein oder zwei ;-) ), aber auch absolute Megaknaller gab’s nicht so viele.

Das Meiste schien mir oberes, ungefährliches Mittelmaß zu sein, solide durchstrukturiert und in gutem Englisch, und vor allem in den nicht direkt technischen (gesellschaftspolitischen, philosophischen usw.) Vorträgen auch darauf ausgelegt, die Zuschauer nicht allzu sehr zu überfordern. Vielen Referenten merkte man ein hohes Maß an Professionalität und lange schon eingeübtem Rednerkönnen an.

Andererseits fehlten mir bei vielen Vorträgen Chaos, Reibung und kognitive Überlastung ein wenig. Ich möchte beim Congress coole Sachen sehen und einige Mindfucks erleben, auch auf die Gefahr hin, dass durch interessante Abschweifungen der rote Vortragsfaden nicht eingehalten wird oder die Zeit nicht mehr reicht, dass die Technik zum unpassendsten Augenblick zusammenbricht, dass der Redner in seiner Begeisterung fürs Thema jede rhetorische Selbstdisziplin und Rücksichtnahme vergisst oder ins Stammeln gerät, oder dass völlig abstruse Fragen aus dem Publikum ihn aus seinem Konzept bringen. Und aus Vorträgen, die mich kognitiv überlasten, nehme ich weitaus mehr mit, und sei es nur das Bedürfnis, mich näher mit dem Thema zu befassen, als aus solchen, die ein faszinierendes Thema in leicht verdauliche, vollständig nachvollziehbare Häppchen verpacken, die gerade das an diesem Thema über den eigenen Horizont Hinausgehende solcherart unterbuttern und verwässern, abschneiden.

Der Standard der Vorträge in Professionalität und Verständlichkeit sollte meiner Meinung nach nicht im Großteil so hoch wachsen, dass irgendwelche Hardcore-Nerds oder Wirrköpfe mit nichtsdestotrotz geilen Themen sich in ihrer rhetorischen Unerfahrenheit oder Verplantheit davon abgeschreckt fühlen, auch über ihr Projekt oder ihre Idee oder ihr Thema einen Vortrag zu halten.

Eine sehr positive Gegenentwicklung sind da meiner Meinung nach die Lightning Talks, die bei den zwei Malen, als ich sie mir anschaute (letztes Jahr kam ich noch nicht dazu), all die oben aufgeführten Sachen, die mir bei den normalen Vorträgen teils etwas fehlten, wunderbar zu exemplifizieren wussten und in ihrer Dichte auch tatsächlich hochinteressante Inhalte lieferten. Sie könnten auch als Hürdenabbau für jene nützlich sein, die sich vielleicht dann noch nicht zu einem ‘richtigen’ Vortrag überwinden können, nach einem kleinen Lightning-Talk-Erfolgserlebnis dann aber für nächstes Jahr ermutigt fühlen.

Rest-Chaos?

Auch sonst fehlte mir etwas das chaotische Flair, alles wirkte ein bisschen zu brav. Kaum Cannabis-Geruch, wie oben schon erwähnt. Keine in Schlafsäcken eingelümmelten Berge, über die man zur Fortbewegung hätte steigen müssen. Eine Gemütlichkeits-Lounge statt einem wüsten, atmenden Hackcenter-Monster. Viel zu viele halbwegs ordentlich gekleidete, gewaschene Menschen. Und außerdem: Kein Hacktivity! Wieso diesmal nicht? Ich will Internetprotokolle pantomimisch dargestellt und Unix-Derivat-Maskottchen erraten sehen!

Dafür ging vieles reibungslos, bspw. das Internet, das ist schon ziemlich achtungsgebietend, was da netzwerktechnisch geschafft wurde. Aber Reibung finde ich im Allgemeinen sehr produktiv, und an Reibung und Subversion fand ich das Gesamt-Flair schon ein bisschen ärmer als zuvor.

Fazit

Auch diesjahr war der Congress wieder ziemlich großartig.

Trotzdem: Möglicherweise ist es unvermeidlich, dass er sich bei seiner aktuellen Größe langfristig konsolidiert, professionalisiert, und ja, auch leicht kommerzialisiert und verbürgerlicht. Ein sehr anregendes, informatives und vernetzendes Ereignis mit vielen ziemlich coolen Momenten wird er dennoch hoffentlich lange bleiben, und diejenigen, die dieses Monstrum jedes Jahr aufs Neue organisiert kriegen (und bei dieser Größenordnung durch ein Mehr an Chaos vielleicht gar nicht mehr dazu in der Lage wären), haben meine Hochachtung.

Auch sollte man nicht die Funktion des Congresses als öffentlichkeitswirksame Institution für seine technischen und politischen Themen unterschätzen, oder seine bezüglich Vernetzung der Community überaus produktive Internationalisierung vergessen, die vielleicht gerade erst durch die Professionalisierung ermöglicht wird. Es ist wohl müßig, irgendwelchen vergangenen, angeblich kuscheligeren Zeiten des Congresses nachzutrauern, wenn dieser sich nunmal offenkundig in seinen Strukturen und Funktionen wandelt, wie sich ja auch die mitwirkenden Szenen, die Öffentlichkeit und die gesellschaftlichen Verhältnisse wandeln.

Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass auf künftigen Congressen das Chaos weiterhin einen einigermaßen festen Stand wider Ordnung und Langeweile hält, anstatt dass der Congress allzuschnell zu einer leicht alternativen Technik-und-Gesellschafts-Messe verkommt. Der 23C3 wird da also hoffentlich, allein schon seiner Nummer wegen, nochmal richtig zeigen, was der Congress kann :-)

Sunday January 1, 2006

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Kommentare

  1. Claire de LaLoupe / 02. January 2006, 17:47 Uhr

    Ich wollte haargenau dasselbe sagen

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