Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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Auf der SIGINT09 hab ich einen Vortrag mit dem Titel “Mind Upload Cheat Codes” gehalten. Hier die Slides:
[Hier war mal ein Slideshare-Embed, jetzt aber nur noch dieser Slideshare-Link.]
Auch nochmal runterladbar als pdf, odp und ppt.
Und im Folgenden gleich eine grobe thematische Zusammenfassung aus dem Konferenzprogramm. Wer da war und eine anonyme Bewertung des Vortrags abgeben will, bitte hier machen, würd mich freuen …
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Du möchtest dich in unsterbliche Computersoftware verwandeln? Warum warten? Vielleicht machst du es bereits!
Schon heute eröffnet uns Informationstechnologie viele der Möglichkeiten und Fragen, die das futuristische Konzept des “Mind Uploads” verspricht. Festplatten- und Online-Speicher werden unser Gedächtnis, zeichnen jeden Augenblick unseres Lebens in beliebige Abrufbarkeit auf. Wir gießen und strukturieren unseren Geist in Gefäße wie “Mind Mapping” und persönliche Wikis, bis Geist und Computer zusammenfließen. Unsere Identität und unser Sozialleben setzen wir in Online-Profile und -Aktivitäten, die ein Eigenleben entwickeln. Was von uns ins Digitale hinein wächst, kann schon heute gebackupt, kopiert, revidiert, geopensourced, geforkt und automatisiert werden. Wir können unsere Identitäten der Adoption durch Andere öffnen, Chatterbot-Simulatoren unserer selbst erziehen und künftigen Intelligenzen genug Information überliefern, um daraus von ihnen umfassend rekonstruieren zu werden. Erstaunliches mag für Begriffe wie “Ich” oder das “Menschsein” folgen.
Über alle Zeiten hinweg war ein verbreiteter Wunsch der menschlichen Persönlichkeit die Überwindung der räumlichen und zeitlichen Schranken ihres sterblichen Körpers. Ein Lösungsansatz wird nun mit dem techno-futuristischen “Mind Upload” versprochen: das Einscannen der neuronalen Konfiguration des Gehirns in eine Computersimulation desselben. Leider scheint dies abhängig von großen Fortschritten in Neurowissenschaft, Nanotechnologie und Rechenkapazitäten, die noch nicht erreicht sind. Aber warum darauf warten? Im Digitalen Zeitalter sind Methoden, Erfahrung, Wissen, Gedächtnis, Identität und Geist in Computersysteme hochzuladen, reichlich vorhanden. In meinem Vortrag möchte ich dazu einige beispielhafte Möglichkeiten, Folgen und aufgeworfene Fragen abhandeln.
Ein Beispiel: Auf unseren Festplatten und in unseren Web-Profilen speichern und organisieren wir Daten über uns in Größenordnungen, die jede Überlieferung der berühmtesten Könige und Dichter der Vergangenheit übertreffen. Um wieviel detaillierter, tiefer und komplexer könnten künftige Historiker oder Computersysteme ein Bild oder eine Simulation von uns rekonstruieren? “Lifeloggers” gehen so weit, jeden Augenblick ihres Lebens aufzuzeichnen, jederzeit nach Wunsch aufrufbar. Was passiert, wenn unsere Gedächtnisfunktion sich vom Gehirn in Computerspeicher verschiebt? Wie sortieren und sichern wir unsere digitalen Erinnerungen am Besten in Erwartung künftiger Anwendungsfälle wie z.B. Virtual-Reality-Nachbauten unserer Vergangenheit und Gegenwart?
Andererseits versprechen uns Programme wie “Mind Mapping”-Software zumindest vom Namen her Gefäße, um Inhalte und Vorgänge unseres Geistes aufzufangen. Man kann über ihre Eignung dafür streiten. Aber es gibt zum Beispiel persönliche Wikis, die einer einschüchternd umfassenden Wiedergabe von jemandes innerer Geisteslandschaft dienen, mit Tausenden umfangreich miteinander verschalteten Knoten für Erinnerungen, Ideen, Lektürenotizen, Pläne, Gespräche, Bewusstseinsströme usw. Wächst mit der Abdeckungsbreite auch die geistige Abdeckungstiefe eines solchen Wikis? Trainiert sich der Geist im Formalisieren seiner Vorgänge in die jeweilige Wiki-Logik hinein? Werden beide konvergieren? Dann könnten wir durch einen menschlichen Geist googlen, seine Versionsgeschichte durchschreiten — und sogar Backups machen!
Zugleich bedeutet Leben im “Social Web” das Definieren und Formalisieren persönlicher Identität und Sozialbeziehungen in einen rein digitalen Raum hinein. Dort können sie unheimliches Eigenleben entwickeln, wie weiterbestehende Web-2.0-Profile kürzlich Verstorbener oder unechte, aber realistische Simulationen von Berühmtheiten. Dienste wie LegacyLocker.com oder DeathSwitch.com versprechen nach gewisser Inaktivitätszeit ein Leben-nach-dem-Tod für die Web-Identitäten Verstorbener, durchs Öffnen von Benutzerkonten an Nahestehende oder das Verschicken vorbereiteter Nachrichten einmalig sofort oder zyklisch-später zu Geburtstagen bzw. anderen Jubiläen; die Evolution komplexerer, reaktionsfähigerer, intelligenter Post-Mortem-Verhaltens-Dienste für Web-Identitäten ist ein naheliegender Spekulationsgegenstand.
Wie lassen sich solche Methoden weiterdenken? Könnten wir Twitterbots erziehen, jemandes Twitter-Ausstoß nach Analyse seiner Twitter-History zu simulieren und beobachten, wie seine Follower auf diesen Bot reagieren oder mit ihm interagieren? Etwas Ähnliches bietet etwa kommerziell für Chatterbots MyCyberTwin.com an: das Erziehen einer personalisierten Chatterbot-Simulation, um einen in der Interaktion mit Anderen glaubwürdig zu vertreten, wenn man nicht die Zeit oder Lust dazu hat. Wir könnten für unser Leben und unsere Verhaltensmuster maschinenlesbarere Formalisierungen entwickeln, damit Computer-Intelligenzen mehr semantisch aufgeladene Daten haben, um uns zu rekonstruieren. Oder wir könnten unsere Benutzerkonten öffnen und willentlich “Identitätsdiebstahl” provozieren, als soziale Fortsetzung bzw. Fork unserer Web-Persönlichkeiten. Die Unsterblichkeit einer Identität liegt vielleicht paradoxerweise in der Auflösungen eines zu engen Identitätsbegriffs. Weitere Ideen sind gern gesehen!
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Ein paar Denkansätze, die mir so im Hirns rumspucken, finde ich auch in den Folien wieder.
Bedingungen: Selbst wenn das mit’m Moorschen-Gesetzt so hinaut wie geplant; so kann ich mir dann (wenn es soweit ist) sehr gut vorstellen, dass trotzdem nicht alle Daten und deren Querverweise “gesavt” (nicht gespeichert) werden können; und das hat jetzt keinen religiösen Touch; so von wegen Seele und so; sondern: Ich denke da an Metaebenen die bisher noch keiner gesehen und gemessen hat; wie die dann “drauf” kommen,…(wenns die denn gibt) …das wird noch mal nen Kraftakt werden.
Für uns und die Maschinen.
Ich erwarte ein “echtes Mindmapping-Tool” nicht vor 2050.
Ich mag deine optimistische Herangehensweise an diese Themen und bin immer wieder aufs neue fasziniert und inspiriert.
Und: Ich bin froh das du (und einige andere) jetzt schon an solchen Themen rumwerkeln; bei dem Speed der sich so entwickelt….
Ich dachte anfangs, Video-Lifestreams seien das Allheitmittel für PersonalityCapture, und bis die HeadCam in meine Brille eingebaut sei, würden noch 3-5 Jahre vergehen. Aber ein einfacher Audiorecorder oder eine SdCard im Handy reichen völlig aus für einen ersten UpLoad-Datenschatz. In den letzten 2 Monaten habe ich etwa 150 Stunden (14 GigaByte) Audiostreams aufgenommen. (Die 2 TeraByte-Platte beim lokalen Händler kostet rund 200 EuRo).
Besonders spannend am LifeStreaming ist, dass es die Wirklichkeit und mein Bewusstsein nicht nur einfach abbildet, sondern verändert. Menschen verhalten sich anders, wenn sie wissen, dass ihre Gespräche aufgezeichnet und veröffentlicht werden.
@Chris: Ein “echtes Mindmapping-Tool” nicht vor 2050?
Ich wette mit Dir um bis zu 100 EuRo, dass Du mich ab 2040 in einem 25minütigen Skype-Videochat nicht mehr von meinem Avatar unterscheiden kannst (siehe RainerTest).
@Rainer: Live Chat?
Ich vs dein Alter-Ego?
Die wette geh’ ich ein!
2040 dann an dieser Stelle? ;)
Ohne Kontinuität meines Bewusstseins läuft da nix mit mir. Schlafen reicht mir schon ;-)
Was da irgendwer, irgendwann aus fragwürdigen Schnipseln in the far future zusammensetzt ist meinem Bewusstseinskontinuitätstrieb aka “Siggi” schnurz. Obwohl? Hm – wer erbt eigentlich meinen Datenvektor?
Was mir bei diesem Text einfällt: da gibt es ja dieses berühmte deutsche Mindmap-Programm (ähem, keine Werbung). Es wurde von einem Mann geschrieben, als ihm gesagt wurde, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist. Er wollte seine Gedanken vor dem Tod sammeln. (Er überlebte). —Detlef
Burckhardt, Kultur der Renaissance in Italien, Band II, Kapitel „Erschütterung des Glaubens überhaupt“ (im Zusammenhang mit Jenseitsvorstellungen der Kirche):
„Aber es gab in den alten Autoren noch ein anderes, weniger gefälliges Bild des Jenseits, nämlich das Schattenreich Homers und derjenigen Dichter, welche jenen Zustand nicht versüßt und humanisiert hatten. Auf einzelne Gemüter machte auch das Eindruck. Gioviano Pontano legt irgendwo dem Sanzar die Erzählung einer Vision in den Mund, die er frühmorgens im Halbschlummer gehabt habe. Es erscheint ihm ein verstorbener Freund, Ferrando Gennaro, mit dem er sich einst oft über die Unsterblichkeit der Seele unterhalten hatte; jetzt frägt er ihn, ob die Ewigkeit und Schrecklichkeit der Höllenstrafen Wahrheit sei? Der Schatten antwortet nach einigem Schweigen ganz im Sinne des Achill, als ihn Odysseus befragte: ‘soviel sage und beteure ich dir, daß wir vom leiblichen Leben Abgeschiedenen das stärkste Verlangen tragen, wieder in dasselbe zurück[zu]kehren’. Dann grüßt und verschwindet er.“
@ siggi: Ja das mit der Bewusstseinskontiuität ist so eine Sache, nicht wahr!? Wozu sollte eine Kopie meines Selbst überdauern, wenn Ich es doch nicht kann? Ich will ja Mich weiterentwickeln!
Wenn man das Ganze systemisch angeht ist der Avatar, von dem Reiner spricht, tatsächlich nicht mein Ego. Er ist streng genommen nicht einmal eine genaue Kopie. Er ist – wie jedes andere System auch – ein autochtones Gebilde das sich völlig ohne unser bewusstes Zutun aus einer Akkumulation zahlreicher Faktoren wenn überhaupt selbst erschafft und auf das wir keinen Einfluss haben (nie hatten und nie haben werden). Und das ist ein Dilemma, denn: zum Einen wollen wir ja den Tod unseres biologischen Körpers überlisten und müssen daher ein seperates – der Streblichkeit unserer Biologie nicht unterliegendes – System “kreieren” (oder vielmehr in seiner Selbstentstehung zulassen) und zum anderen verhelfen wir damit unserem System selbst kein Stück zur Unsterblichkeit. Das eigene System gegen Verfall abzustützen gelänge vielleicht mit Technologien, die es irgenwie möglich machten, das Bewusstsein (aber auch sämtliche anderen uns eigenen Körperfunktionen) zu konservieren – wie Aubrey de Grey es mit Life-extension versuchen will.
Warum ist der Avatar keine Kopie? Weil er nicht zu hundert Prozent nur von uns geschaffen werden kann. Zu hundert Prozent sind nur unsere Gedanken unser einziges Eigenprodukt (streng genommen nicht mal die, solange sie in erlernten Sprachen formuliert werden). Jedes Wort das wir sprechen ist schon zu wesentlich mehr Anteilen der Sozialisation und der Umwelt geschuldet, als unseren tatsächlichen Intuitionen. Der Avatar – selbst auf völlig anderen Lebensgrundlagen (Computer, Internet) basierend – könnte vielleicht die sozialen Funktionen unseres Selbst täuschend echt übernehmen, aber er wäre doch nur ein weiteres System, das um Reproduktion bemüht ist – allenfalls ein eineiiger Zwilling, der nach Jahren der getrennten Existenz sich von seinem “Schöpfer” ebenso unterscheiden würde, wie Du und Ich. Es ist nicht die Unsterblichkeit, sondern höchstens eine neue Art der Reproduktion. Die Grundeinheiten dieser neuen – von den Genen losgelößten Selektion – mag man Meme oder Muster nennen aber sie sind nicht die komplexen Persönlichkeiten selbst.
Das wäre dann die Künstliche Intelligenz, die die biologischen Körper obsolet machte. Wir selbst würden das nicht überleben!