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Internet, das ist die Politik; Politik, das ist das Internet!

Irgendwie wollte ich seit über einer Woche schon was bloggen, ein Fazit über das PolitCamp09, meine dort gehaltene Session, dann die ePetition gegen Internetzensur, nach und nach hoppste da ein Thema auf das nächstes, so dass ich nicht mehr nachkam …

Also ratter ich nur mal das Notwendige ab, und vielleicht fällt mir dabei ja noch was ein.

Am 2.-3. Mai war nun das PolitCamp09. Ich fand’s spannend, denn es legte die Tiefe des Grabens zwischen hiesigem politischem Establishment und der Internet-Kultur ziemlich drastisch offen. Da gab’s wenig Vermittlungsraum zwischen denen, die sich überlegten, wie sie mittels Twitter die Wahlkampfpropaganda ihrer Partei besser broadcasten könnten, und denen, die aus dem Internet das Ende nicht nur der derzeitigen Parteienlandschaft, sondern bisheriger Bauformen von Demokratie überhaupt schlossen. Die Gegensätze standen angenehm unharmonisiert nebeneinander, mit viel ungewolltem wie gewolltem Unverständnis gegeneinander und sich in viel schönem Gezoffe manifestierend. Synthetisierende Ausnahme — Politikwissenschaftler! — bildete der nüchtern analytisch-fragende Abschlussvortrag von Stefanie Stift und Ralf Bendrath, “Politik 2.0 und Demokratie”.

“Was da noch auf die Politik zugerollt kommt”

Ich selbst nutzte die Gelegenheit für ein bisschen haltloses Rum-Utopisieren in, wie mir sicherlich zurecht vorgeworfen wurde, grober technikdeterministischer und digital-libertärer Manier. Hier die Slides, die den Hintergrund für ein kurzes Stream-of-Consciousness-Impulsreferat bildeten, mit dem ich dann eine Diskussion anregen wollte:

Was da noch auf die Politik zugerollt kommt[Hier war mal ein Slideshare-Embed, jetzt aber nur noch dieser Slideshare-Link.]
View more presentations from Christian Heller.

Und hier noch ein paar Ergänzungen zu den Slides:

Den Barlow wollte ich eigentlich als Utopie 1.0 reinwerfen, die so natürlich schon historisch überholt sei; das Predigen eines eigenen Cyberspace-Raums, unabhängig von der Fleisch-und-Stahlwelt; dem entgegen eine Gegenwart, in der der Cyberspace zur neuen Grundvermittlungssubstanz letztlich auch dieser Fleisch-und-Stahlwelt wird. Der Kritik an meinem Vortrag entnehme ich aber, dass das so nicht ankam, sondern stattdessen durchaus so, dass ich undifferenziert “das Internet” als einen eigenen Raum ausgemalt habe, der losgelöst vom ‘Rest’ existiere und wirke; eine Kritik, die Ralf Bendrath im vorhin erwähnten “Politik 2.0 und Demokratie” nochmal sehr schön ausformulierte. Das “Internet” ist inzwischen da und allgegenwärtig, eine Utopie, die von ihm als einem unverbundenen Eigenraum handelt, passt nicht mehr so richtig, und der Begriff ist auch zu allgemein. Vielleicht könnte es sinnvoller zu sein, z.B. zu fragen, was bestimmte Dynamiken aus der Web-2.0-Logik zur sozialen Vermittlung beitragen, als was die Gesetze ‘in’ diesem allgemeinen ‘Raum’ Internet seien.

Dann wollte ich einige Freiheiten postulieren, die das “Internet” (ahem, ok) unausweichlich schafft, wenn man es nicht gerade mit absoluter Nordkoreanisierung der Gesellschaft raushalten möchte.

Was die absolute Freiheit des Informationsflusses im Netz z.B. zuende gedacht heißen muss: Dass das Internet (Rule 34) tatsächlich zu einer Borges’schen “Bibliothek von Babel” wird, in der jeder denkbare Text (jede denkbare Information, jedes denkbare Bild), sprich, jeder, für den eine Suchanfrage formulierbar ist, egal wie gut oder böse oder falsch oder richtig, sich unbesiegbar reinfrisst. Dass man lernen muss, damit zu leben, d.h. mit jeder Form von konstruktiver und destruktiver Kritik, mit Neonazipropaganda, mit hate speech, mit Kinderpornographie, mit Bombenbauanleitungen und selbst mit Furries. Deren bedrohlicher Wirkung mit anderen Mitteln zu begegnen lernen muss als mit Zensur, die im Netz als langfristige Lösung nie funktioniert. Unterdrücken funktioniert nicht, bestenfalls neutralisieren in der Wirkung durch Druck/Entautorisierung durch Gegenmaterial. Hierfür wiederum entstehen genau die richtigen Infrastrukturen, das Auflösen aller dauerhaften Autoritäts-Hierarchien, die Deindexikalisierung allen Bildmaterials (die totale Photoshoppisierung von allem entwertet auch die Wirkung ‘realer’ Fotos), die Wikisierung jeder Information.

Und die andere Freiheit, die Freiheit der Assoziation: dass das Netz es mir leichter macht, spontane Zweckgemeinschaften und so flüchtige wie effektive Spontan-Parteien zu bilden; eigene Freiheitsräume aufzumachen, in denen ich mein Ding drehen kann ohne Anderen auf die Füße zu treten und damit auch, ohne mich Regeln des Zusammenlebens oder Konsens mit ihnen beugen zu müssen; dass so auch Raum entsteht, um Solidarität post-staatlich zu organisieren; dass die Greifbarkeiten verschwinden, die der Staat bisher verwalten konnten, ihm durch die Finger schwinden, Konzepte wie der “Bürger” oder die “Solidargemeinschaft” sich genauso verflüchtigen werden wie die Hoheit über die Wirtschaft; dass die Identitäten, mit denen Gesellschaft umzugehen lernen muss, sich vielleicht am Ehesten in so etwas wie der posthumanen Spontan-Emergenz “Anonymous” manifestieren, sich nicht mehr auf Ausweis oder Rechtsperson oder Herkunftsland mappen lassen.

Forderungen an die Politik: die durch das Netz geschaffenen neuen Freiheiten nicht zu bekämpfen versuchen, denn effektiv wäre das nur durch Einrichtung von Kontrollstrukturen möglich, deren Antifreiheitlichkeit dem Ideal einer offenen Gesellschaft grundlegen widersprechen müssten; stattdessen als politische Aufgabe, den Zugang zu diesen, zu den Möglichkeiten des Netzes, notwendige Bedingung gesellschafticher Teilhabe im 21. Jahrhundert, sozial auszubreiten, den “Digital Divide” abzubauen; und den unvermeidlichen Zusammenbruch alter Strukturen möglichst schonend für die Betroffenen abzufedern, in verantwortungsvoller Anerkennung seiner Unvermeidlichkeit möglichst menschenfreundlich auf ihn vorzubereiten. Dazu notwendige Kompetenzen: verantwortungsvolle Anerkennung des eigenen Kontrollverlusts, statt panisch wild um sich zu trampeln und dabei jene mit in den Abgrund zu reißen, denen man eigentlich dienen sollte; sich als freiwilliges Angebot (nichtkapitalistische Dienstleistung?) statt als Obrigkeit, die alles per default erstmal zu regulieren hat, zu begreifen; Total-Transparenz aller politischen und bürokratischen Entscheidungsvorgänge, Informationsflüsse, Interessen und Einfluss-Namen; und die Anerkennung von “Usability” als Bürgerrecht gegenüber allen Interaktionen mit dem Staat.

Dass grob meine Thesen-Agenda in der Session. Wurden kontrovers aufgegriffen & widersprochen, wobei die Diskussion rasch eine sehr schöne Eigendynamik annahm. Eine spannende Fortsetzung der Diskussion vor allem zum Ende der Flaschenhälse bzw. zum Zusammenbruch der bisherigen Gefäße und Greifbarkeiten für Demokratie fand sich tags drauf, siehe hier und hier bei mspro.

Petition

Die Woche drauf freilich wurde die luftige Allgemeinheit / zahnlose Virtualität dieser Diskussionen dann sehr rasch sehr konkret abgewechselt durch die Bundestags-Petition von Franziska Heine gegen die vom Familienministerium geplante Einführung einer Internet-Zensur-Infrastruktur, die binnen vier Tagen nach Veröffentlichung die erforderlichen 50.000 Mitzeichner für eine öffentliche Anhörung im Bundestag erreichte (und inzwischen, nach insgesamt 8 Tagen, die 75.000 überschritten hat), und deren beeindruckende Dynamik die zarten Pflänzchen der Dissonnanz zwischen Politikverständnis der Netzwelt und Netzverständnis der Politikwelt nun gut im alt-öffentlichen Diskurs zu manifestieren verspricht. Zur Unterstützung dieser Dynamik bitte ebenfalls unterzeichnen!

Tuesday May 12, 2009

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Kommentare

  1. meistermochi / 05. June 2009, 23:09 Uhr

    politik als angebot, statt normalzustand.

    also das finde ich richtig geil.

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