Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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0.30 Uhr: “I can count every star in the heavens above but I have no heart I can’t fall in love…” / The image of computers in popular music
Johannes Grenzfurthner of monochrom darf das nachmitternächtliche Ausklangsprogramm des ersten Congresstages fahren. Ich erwarte mir aufgrund vorheriger Erfahrungen eine Crowd-irritierende Crowdpleaser-Show mit dollen Bildern und Mitsingeinlagen. Ich brauch sowas jetzt, Entspannung nach eintägiger Congressrezeptionsarbeit.
Es geht auch schon gut los. Grenzfurthner fixiert das Publikum und konfrontiert es mit dem Bild eines hässlichen Nerdstereotyps und der Unterschrift “stupid computer nerd assholes”. Der Saal tobt, tosender Applaus, das Publikum scheint über ein gesundes Selbstbild zu verfügen.
Und danach kommt die von mir ersehnte Entspannung, nämlich Kulturgeschichte und Kulturtheorie, hihi.
Grenzfurthner betont gerne Begriffe auf die größtmögliche Art und Weise. Auch seine besten Sätze und Formulierungen wirft er in beeindruckender Länge an die Wand, “blog it, twitter it — may be too long for twitter.”
Der Computer als Gegenstand populärer Musik findet seinen Anfang in einem Countrysong “The ‘Lectronic Brain” der “Moonbillies”. Grenzfurthner macht eine kleine Ideologiekritik der Countrymusik, die den Computer hier noch eher für seine Artifizialität und seinen Mangel menschlicher Gefühle bemitleidet, als ihn sofort zum Hassobjekt abzustempeln. Später werden härtere Bandagen folgen.
Der Computer steht nämlich für die Technologie, die im 20. Jahrhundert die bourgeoise Hochkultur überrollte und den Pop bei der feindlichen Übernahme ihrer Kulturhegemonie unterstützte. Daher übte sich die Hochkultur in ihren Werken lange Zeit, bis in die Neunziger, gerne Warnungen und Aggressionen gegen die Technologie und auch den Computer als einen ihrer Stellvertreter; “nostradamn the computer”.
Unter den Hippies dagegen gab es bereits einige Sympathie für die Potentiale des Computers, wenn auch frühe Techno-Avantgardisten wie Bruce Haack eher Einzelfälle waren, die damalige musikalische Avantgarde hing ästhetisch eher romantischen Idealen des 19. Jahrhunderts nach. Erst mit dem Übergang der Hippie-Bewegung ins technophobe Öko-Hippietum aber wurde ihr auch der Computer zum richtigen Hassobjekt. Wir bekommen einige Anticomputerliedermacher zu hören, bis hin noch zu …
Das einzige, was dem “liberal leftist” zur Weltverbesserung einfällt, ist die moralische Selbstversicherung, zur Achse der Guten zu gehören und das richtige Gefühl (“FEELING” ganz groß auf den Beamer, wie oben der “Creator God”) wider das Böse in sich zu tragen, und da eignete sich der Computer gut als Anfeindungsobjekt einer “liberal angst culture”, Stellvertreter für eine Entmenschlichung durch Verwaltung, Technik und Moderne. Grenzfurthner diagnostiziert Pseudokritik am Kapitalismus ueber seine Produkte. Der “merchandise of a regression into a pre-computer Utopia” reicht noch hin bis zum technikfeindlichen deutschen religiösen “Sacropop”.
Die Einstellung zum Computer wandelte sich etwas mit Punk und Post-Punk in Gegenreaktion auf Hippie- und Post-Hippietum. Der Punk/Post-Punk wollte keine Botschaft mehr verbreiten, sondern Verwirrung, womit sich notwendigerweise auch keine eindeutig negative Positionierung zum Computer mehr festschrauben ließ. Grenzfurthner fährt einen Haufen toller Post-Punk-&-New-Wave-Plattencover auf und spielt ein sehr schönes Lied “I’m a Computer” von “The GOO-Q”, notier ich mir.
Zum Ende gibt es ein musikalisches Tryptichon in die 90er Jahre. In “Anthrax” von Kimya Dawson ist der Computer zum Alltags- und Weltgegenstand urbaner amerikanischer Mittelstandsjugend geraten, dessen imaginiertes Durch-die-Luft-Fliegen bei 9/11 zusammen mit Menschenfetzen und Teppichen die prägende welthinterfragende Jugenderfahrung bildet. “Zuse” von “Laux” ist eine liebenswürdige, dankende Rückbesinnung auf den Mann, mit dem alles angefangen hat. Und mit dem “Eurotrash”-Werk “Surfen Multimedia” traten die “… girls? … women? … female people” (Grenzfurthner) “Eurocats”, beim 1996er Eurovisionscontest an, in anschwellender öffentlicher Internet-Begeisterung. Grenzfurthner tanzt auf der Bühne, was das Zeug hält, das Publikum klatscht euphorisch im Takt mit.
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