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Sustainable IT #3: Sugata Mitras Experiment "Hole in the Wall"

11:35 Uhr: Sugata Mitra – “Education and Growth An Indian Perspective”

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Herr Mitra arbeitet im Bereich der Bildungstechnik mit Kindern in ländlichen Gebieten. Aus diesen Erfahrungen heraus bezieht er sich auf das UN-Millenniumsziel “Bildung für alle”: mit konventionellen Strategien sei es unerreichbar. Es gibt in den ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer nur unzureichende Bildungsgelegenheiten, aufgrund zu weniger brauchbarer Schulen, zu weniger gute Lehrer, und das ist ein großes Problem. Ein großes Problem, für das er eine innovative Lösung verspricht …

Kleine Weltbildungsökonomie der entwickelten und sich entwickelnden Länder

Erstmal malt Mitra aber einen breiten weltbildungsökonomischen Exkurs als Hintergrundfarbe aus.

Derzeit arbeitet er in England und stellt dort fest: Den jungen Leute fehlt das Interesse, für den persönlichen Aufstieg zu arbeiten, anspruchsvolle Sachen wie Ingenieurswissenschaften zu studieren; die “enrollment rates” in derlei nehmen ab. Die ‘entwickelten’ Länder sind hierin Kehrbild der Entwicklungs- bzw. ‘sich entwickelnden’ Länder: Denn dort ist der Drang zum sozialen Aufstieg hoch, die Wahl aussichtsvoller Studiengänge sehr beliebt.

Warum? “Aspiration reduces in an economically averaged out society.” Wo es dem Ladenmädchen nicht wesentlich schlechter geht als dem hochkompetenten IT’ler, gibt es wenig Motivation, zu dessen Stand zu streben. Umgekehrt ist es in den Entwicklungsländern, wo die über Aufstieg überwindbare Kluft groß ist. Eigentlich ganz logisch: Wenn man Entwicklung als das Überbrücken der Kluft zwischen Arm und Reich definiert, dann kann sich eben dort keine große Entwicklung mehr vollziehen, wo diese Kluft eingeebnet ist.

Das wäre ja kein Problem, ganz im Gegenteil, das klingt doch sogar nach einer guten Entwicklungs-Chance für die Entwicklungsländer. Zum Beispiel, indem sie sich als Outsourcing-Zielgebiet für fachlich anspruchsvolle Jobs und somit wirtschaftliche Entwicklung anbieten. In Indien aber etwa laufe diese Annahme gerade gegen die Wand. Die fachliche Kompetenz sitzt dort in den Städten, erreicht aber gerade die Grenzen ihrer Outsourcing-Auslastbarkeit. Der Lebens- und Lohnstandard steigt in diesen Bereichen aufs westliche Niveau; es gibt sogar Migration aus dem Silicon Valley nach Bangalore, weil dort besser bezahlt werde. Das Outsourcing müsste also für weitere Entwicklungsbeförderung weiter schreiten, weiter hinaus. Was liegt weiter hinaus? Die ländlichen Gebiete. Problem: Die kompetente Arbeitskraft gibt es dort nicht, weil die Bildungsinfrastruktur fehlt. Gute Lehrer ziehen vom Land in die Stadt, weil’s dort für sie attraktiver ist.

So entsteht ein erhebliches Wachstumsungleichgewicht: Städtische Gebiete holen auf, ländliche Gebiete bleiben unterentwickelt. Dem wirtschaftlichen Wachstumsdrang fehlt ein Outsourcing-Ventil. Zurück in die Erste Welt kann er auch nicht gelenkt werden, denn dort fehlt den Leuten aufgrund guten Wohlstands der Ansporn, den die Wirtschaft für weiteres Wachstum braucht.

Also muss man, zugunsten von sozialem Gleichgewicht und wirtschaftlichem Wachstum, irgendwie das Bildungsdefizit in den ländlichen Gebieten bekämpfen.

Lösung: ein Loch in der Wand

Mitras Lösungsansatz hierfür findet sich in einem Experiment begründet, das er seit 1999 betreibt. Damals hatte er in einem indischen Slum einen mit Mauerwerk und dickem Glas gesicherten Computerterminal aufgestellt, bedienbar über ein Touchpad, mit Zugang ins englischsprachige Internet. Eine Kamera dokumentierte, was damit geschah. Slum-Kinder, Achtjährige, Sechsjährige, sammelten sich rasch drumherum, “they’ve never seen a computer before, they don’t know the language”, und doch brachten sie sich individuell und gegenseitig in nullkommanix den Umgang mit dem Gerät und das Surfen im Internet bei.

Mitra hat infolge dieses Experiment über Jahre hinweg in abgelegensten ländlichen Gebieten Indiens wiederholt, in Dörfern, die zivilisatorisch noch auf dem Stand des Mittelalters stehen, mit einem Bildungsstandard und einem Schulunterricht, der sich seit zweieinhalb Jahrtausenden nicht wesentlich geändert hat. In solche Umgebungen stellte er einen Klotz mit Computerterminal und Zugang zum englischen Internet hinein; zugeschnitten auf Kinderbenutzung, unbequem für Erwachsene, für kleine Menschen mit kleinen Händen. Mit Kameras beobachtete er die sich drumherum rasch bildenden und beständig reorganisierenden Kindertrauben.

Nach drei Monaten stellen die Kinder auf Englisch und in amerikanischem Akzent die Forderung: “We want a faster processor and a better mouse.” Nach drei bis neun Monaten können sie das lateinische Alphabet lesen, beherrschen ein Vokabular von 400 englischen Wörtern, spielen Computerspiele, können im Internet browsen, besitzen grundlegende Windows-Bedienkenntnisse, können chatten, E-Mails schreiben, Musik downloaden, Videos abspielen und Inhaltsfiltersysteme knacken, befinden sich in der computer literacy auf dem Niveau eines urbanen Büro-Angestellten.

Wie geht das? “Over 300 children became computer literate with 1 computer in 3 months.” Es geht durch regen sozialen Bildungs-Austausch der Kinder untereinander, durch ihre hohe Lernfähigkeit im jungen Alter und durch freies, experimentelles, Spielfreude-geleitetes Lernen nach eigenem Interesse. Gewöhnlich steht ein Kind davor und bedient, drei bis vier stehen direkt drumrum und beraten hilfreich, sechzehn weitere stehen dahinter und beraten unhilfreich, aber alle gemeinsam: experimentieren und lernen sie! “Children can learn anything provided they want to”; es ist wichtig, die Kinder selbst machen zu lassen. Lernen funktioniert am besten, wenn es sich ohne äußeren Zwang selbst organisiert, in diesem konkreten Fall potenziert als “digital, automatic, fault-tolerant, minimally invasive, connected, self-organised primary education”.

Ist das nicht gefährlich? Werden die Kinder nicht die ganze Zeit Pornographie konsumieren oder Vandalismus ausüben und so das Potential vernichten? Beides keine Gefahr, so Mitra. Die Dinger stehen auf großen öffentlichen Plätzen. Pornographie konsumiert man nicht, wenn alle Welt zuschaut. Dasselbe greift auch gegen den Vandalismus: Die Dinger sind gut gesichert und reparieren sich software-seitig von selbst. Man bräuchte schon einen großen Hammer, um ersnthaften Schaden anzurichten, aber dann fällt man auch rasch im öffentlichen Raum auf. Er schwört auf “automatic control by public visibility.” Das soziale Element ist Mitra also nicht nur wichtig für effizientere Bildung, sondern auch als Kontrollinstrument. Für ihn liegt das Potential nicht im individuellen, privaten Gebrauch der Kulturtechnik, sondern in ihrem sozialen. Deshalb mag er auch den 100-Dollar-Laptop nicht so ganz, sein “problem with the personal computer is the word ‘personal’”, es bräuchte nicht ein Gerät, das man mit zu sich aufs Zimmer nehmen kann, sondern lieber einen großen Terminal, “one big plasma screen” für die ganze Familie im Wohnzimmer.

Mir kommt das Ganze etwas wie der Kubrick-Monolith in 2001: A Space Odyssey vor. Die Videoaufnahmen der ersten Tastversuche der Kinder an dem außerirdischen Gerät in ihrem Dschungeldorf haben durchaus was von den Affen, die die glatte Oberfläche des Geräts in der afrikanischen Steppe bestreichen, das ihnen die Zivilisation bringen wird. Der Vergleich ist vielleicht etwas zu zynisch. So, wie Mitra es erzählt, klingt es schon eher nach ‘empowerment’: Die großartige Geschichte der gewandelten Berufswünsche, “change the aspirations”. Das Mädchen, das vor dem “Hole in the Wall” Berufsmutter / -verheiratete werden wollte und nach zwei Jahren mit dem Terminal plötzlich Lehrerin; der Junge, der es vorher seinem Vater nachtun und Rikscha-Fahrer werden wollte, nachher aber “engineer”. Die großartige Geschichte von den tumben Raufbolden, die zuerst ihre Altersgenossen vertreiben, um dann später reumütig diese darum zu bitten, ihnen zu erklären, was man wie mit dem Gerät machen könne, Sieg des Wissens und der Kollaboration über das Recht des Stärkeren. Die Geschichte von dem Mädchen, das sich binnen zwei Monaten über den Terminal Grundlagen der Biotechnologie beibrachte, nur um vor ihren Freunden anzugeben.

Einer fragt Sugata Mitra, warum er für sein Projekt kein Linux verwende. Mitra bedauert das selbst, aber Linux habe sich einfach als ungeeignet erwiesen. Die Schwelle zu einem sofortigen belohnenden Ergebnis sei bei Interaktion mit Linux für die Kinder zu hoch; da setzt sich kein spielerischer Umgang in der Altersklasse durch, die er anvisiert und deren absolute Obergrenze beim 15. Geburtstag liegt.

Wtf, mir rutscht die Batterie aus meinem iBook raus. Absturz, einige Notizen verloren.

Wednesday October 17, 2007

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Kommentare

  1. Erik / 19. October 2007, 19:49 Uhr

    Finde ich sehr interessant! Ich frage mich, ob oder wie stark die Ergebnisse dieses Experimentes manipuliert wurden. Was zeigt Mitra uns nicht, was vielleicht an unerwünschter Reaktion aufgetreten ist?. Und: wie gelingt es ihm denn nun, dass keine über-Fünfzehnjährigen den Terminal benutzen? Wie kann ein Kind, das nach neun Monaten (erst) 400 englische Vokabeln versteht (dabei bleibt zu untersuchen, wie er das Verständnis des Kindes ermittelt) nach bereits drei Monaten einen schnelleren Prozessor und eine bessere Maus verlangen? Außerdem bezweifle ich, dass die Kinder komplett ohne eine gewisse Führung durch das gesamte englischsprachige Internet irren und dieselben Ergebnisse erziehlen.

    Der Soziologische Erfolg des Experimentes beeindruckt mich denoch sehr! Ich als Student der Bildungs- und Erziehungswissenschaft gehe bisher eigentlich von einer Erziehung aus, die geziehlte Formung und Förderung des Menschen ist und einen gewissen Zwang nicht gänzlich ausschließt. Das Sozialverhalten der Kinder als eine sich selbst regulierende Gemeinschaft provoziert womöglich einen Gruppenzwang und richtet die Untersuchung des neuen Dinges im Rahmen eines Schwarmverhaltens auf ein unterbewusstes oder konkretes Ziel aus.

    Ich fühlte mich zuerst an das Höhlengleichnis von Platon erinnert. Aber ist das Internet nun ein Schattenspiel an der Wand oder ist es vielmehr die höhere Erkenntnis, außerhalb der Höhle?

  2. Christian / 20. October 2007, 20:10 Uhr

    Hallo Erik! Ich fass mich kurz, weil ich jetzt noch rasch ein paar weitere Konferenz-Sachen nach-posten möchte:

    Dein Interesse an der Sache kannst du evtl. durch Angucken des gesamten Vortrags unter http://www.sustainable-it.org/?p=66 erweitern, meine Bloggerei ist ja nun doch eher unvollständig und subjektiven Notizen geschuldet, vielleicht erweitert das das Thema noch für dich.

    Und natürlich, sorry, nachträglich alles Gute zu deinem Geburtstag! :-D

  3. Arne / 22. October 2007, 12:20 Uhr

    wow – krass. Allerdings finde ich es garnicht so erstaunlich, dass es funktioniert, schließlich funktionieren manche Sachen in der industrialisierten Welt ähnlich.
    So z.B. die Kontrolle durch die Gemeinschaft gegen Vandalismus (siehe Wikipedia) und auch der autodidaktische Anteil. So könnte ich wetten, dass ein Großteil (wenn nicht sogar die Mehrzahl) der Jugendlichen, die programmieren können, sich das autodidaktisch beigebracht haben. Ich würde mich da auch als so ein Fall bezeichnen.

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