Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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21:13 Uhr: “Neue Arbeit – Neue Kultur” / Frithjof Bergmann
Huch! Frithjof Bergmann redet ja sogar Deutsch. Das hatte ich nicht erwartet. Ein preisboxender Philosophieprofessor. Toll.
Worauf es ihm ankomme: dass ein radikaler, kaum zu glaubender Aufstieg jetzt möglich und gar nicht so weit weg sei. Dass eine Welle bedrohlich auf uns zugerollt komme, die uns umbringen könne, wenn wir sie nicht meistern, und uns zugleich in ungeahnte neue Höhen katapultieren mag, in eine menschlichere, fröhlichere Kultur, wenn wir umgekehrt verstehen, auf ihr zu surfen.
Ich fühle mich mit dieser Einleitung futurutopisch sofort ganz zuhause ;) Ein ordentlicher Sozialfuturutopist, der Frithjof.
Gefahr
Er holt jetzt erst nochmal ins Pessimistische aus: Unsere neuen Technologien tragen ein erhebliches Gefahrenpotential in sich. Zugleich wachse global die Spaltung von Arm und Reich und unterfüttere den Terrorismus, der bald noch ganz andere Hauptstädte des Planeten jerusalemisieren könne. (Hm, naja, die These klingt mir etwas einfach.) Und die Umweltproblematik! Ein bissel Verschmutzung hatten wir ja schon immer mal, aber jetzt haben wir angefangen, die Erde zu erhitzen. (Okay, das wollnwa jetzt mal nicht ausdiskutieren.)
Es ist ein großes Drängen in seinem Reden. Er alarmiert auch vor allem ob einer “Dezimierung der Arbeit”. “Arbeitslosigkeit” nennt er einen verharmlosenden Begriff. Ich verstehe nicht ins Letzte, was er mit Kaputtmachung der Arbeit meint, gerade mal: Wir seien überhaupt erst am Anfang der Automatisierung, wir haben noch gar nicht begriffen, was sich nicht noch alles automatisieren lässt. Und dann: Globalisierung. Flucht der Bauern, nicht in die Städte, sondern an die Slum-Ränder der Städte der Dritten Welt. Er gerät zuweilen ins ansatzweise Brüllen.
Eine Schangse für die Welt von morgen: Arbeit
Aber er will es nicht beim Alarmismus belassen, daran erinnert er nochmal, sein Thema ist ja eigentlich die Möglichkeit eines Aufstiegs.
In unserer aktuellen Gesellschaft erlebten viele Menschen ihre Arbeit “als eine milde Form von Krankheit”, seufzend aushaltbar bis zum Ende der Woche / den Ferien / der Rente, ein notwendiges, aber auszehrendes Übel. Das liege daran, dass sie in der Arbeit nicht das tun können, was sie wirklich würden tun wollen. Arbeit, die nicht unseren Tätigkeitsbedürfnissen entspricht, verkrüppelt uns.
Und da komme nun die Technologie ins Spiel, die Technologie, die zu so viel Schrecklichem fähig sei und zugleich auch zu soviel Gutem. Wenn wir die neuen Technologien richtig einsetzten, dann könnten wir den Menschen das als Arbeit geben, was sie wirklich tun wollen. Wenn wir die neuen Technologien intelligent und phantasievoll ausnützten, dann könnten wir Arbeit umdefinieren in etwas Erfreuliches, Bekräftigendes, Erstärkendes.“Sex muss schon sehr gut sein, um den Vergleich mit wirklich guter Arbeit auszuhalten.” Arbeit, die man selbst gewählt hat, schwächt nicht, sondern stärkt, Arbeit, die man gern macht, definiert den Urlaub zur unerwünschten Störung um, Arbeit kann zum Leben selbst werden.
Arbeit ist unendlich. Die Phrase, dass die Arbeit uns ausgehe, die er in gewisser Weise vorhin selber noch anbrachte, bezeichnet er als Gedankenlosigkeit. “Bauern und Frauen haben immer schon gewusst, dass die Arbeit unendlich ist.” (Das erhält irritierten Applaus.) Alles, was es gebe in unserer Welt, enthalte eine Einladung, daran Arbeit zu verrichten.
Subsistenz-Technologien
Er glaubt an eine Autonomisierung der Menschen und ihrer Arbeit durch Technologie. Man müsse der Technologie eine ganz neue Funktion geben, und zwar die, das Selber-Machen zu fördern. Ein Dorf in Afrika, eine Straße in Kreuzberg, die könnten sich mittels neuer Technologien ganz vieles einfach selber herstellen. Die neuen Technologien machten es möglich, an der Produktion des Benötigten selbst zu arbeiten, anstatt für das Geld, es zu erwerben. (Hm. Ich weiß nicht, das klingt arg nach Abneigung gegen die Zirkulationssphäre zugunsten eines Kollektivs des Uns-Eigenen.)
Ein paar Bilder für das, was er sich vorstellt: Das selbst zusammensetzbare Elektro-Auto. Selbst zusammensetzbare Legobaukasten-Häuser, selbst aufblasbare Kuppelhallen (zum gemeinschaftlichen Drin-Werkeln). Vertikale Gärten (zum Anbau ohne Grundbesitz). Fabrikatoren, fortgeschrittene 3d-Drucker, die auch Mobiltelephone und Kühlschränke herstellen können (Nano-Fabriken?).
Wir sollen “die Arbeit zu den Menschen bringen!” Wir lebten doch genau an dem Punkt, wo wir die Mittel der Produktion wieder an uns nehmen könnten.
Den Menschen zu der Arbeit verhelfen, die sie erfüllt
Bergmann redet viel von der Findung der Arbeit, die einen erfüllt, von der Schwierigkeit, zu entdecken, was man gerne tut, das Problem: “Die meisten Menschen leiden unter der Armut der Begierde”, und beim Finden der eigenen Begierde zu helfen, dafür sind seine Zentren für Neue Arbeit gedacht, deren Tätigkeit er fallbeispielsreich schildert. (Ich weiß nicht. Das klingt mir alles etwas mystelnd nach Berufung und Selbstfindung.)
Im größeren Maßstab stellt er eine Agenda aus sechs Punkten fürs politische Handeln für seine Idee vor:
1. die Möglichkeit des Aufstiegs sichtbar machen, das sei unsere Aufgabe, mit Computern, Videos/Filmen, quasi Aufklärungsarbeit über die neuen Möglichkeiten machen
2. Technologien des Selbermachens weiterentwickeln
3. Orte kollektiven Werkelns und Produzierens schaffen
4. die Schulen reformieren, sie würden jetzt verkrüppeln und den Geist ausrotten, stattdessen eine Bildungskampagne starten, den Begriff der “Arbeit” umzukrempeln; und für denselben Zweck
5. eine Kulturkampagne (scheint mir mit Punkt 1. identisch)
6. und eine politische Kampagne (scheint mir auch irgendwie mit den vorherigen Punkten identisch)
Und wer jetzt noch Lust habe, mit ihm weiterzudiskutieren, der könne ihm in Studio C weiterfolgen.
Überlegung
Ich überlege ein Weilchen. Das hat alles etwas leicht Guru-haftes, und seine Subsistenz-Romantik finde ich auch irgendwie, naja, bin mir unsicher, ob ich das so progressiv finde. Aber andererseits, hey, das ist als die Schlüsselveranstaltung des Programmblocks “Weltverbesserung” gedacht, insofern darf man da schonmal ein bissel rumidealisieren. Außerdem fühle ich mich dadurch entschädigt, dass er für seine Überlegungen mit den neuesten technologischen Trends, anstatt einfach ins Blaue hinein operiert. Also beschließe ich, mir mal anzuschauen, wie das Kennelerndiskussions-Dings mit Frithjof in Studio C weitergeht.
22.12 Uhr: Studio C, Diskussion
Wir sitzen alle in einem mehrfachgeringten Stuhlkreis. Frithjof werden einige Fragen gestellt, manche kritisch, manche beantwortet er, manchen weicht er ein wenig aus.
Die Arbeit, die niemand machen will
Da wäre zum Beispiel die Frage nach der Arbeit, die niemand machen will. Er beantwortet sie nur halb mit der Äußerung, dass manche Arbeit eine Plage sei, wenn man sie immer zu machen müsse, aber ganz erträglich, wenn man sie nur mal kurze Zeit hier und da zu verrichten hätte.
Ihm ist dieser Punkt aber durchaus wichtig. Denn er will nicht einfach nur eine smarte Elite ins Paradies der Neuen Arbeit führen, sondern gerade auch jene, die man als die ‘einfachen’ Leute bezeichnen würde, auch die ohne herausragende Begabung oder Initiative hätten’s verdient, selbst das Alkoholiker-Wrack. Klar, die smarten Selbständigen kriegen sich schon irgendwie selbst gebacken.
(Er wird auch noch eingestehen, dass aus seinem Modell das “machen, was man wirklich machen will” den meisten Menschen leichter zu vermitteln sei als “möglichst viel selber machen”; aber im afrikanischen Dorf herrsche da z.B. eine größere Zuneigung zu dieser Einstellung vor als in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft. Ich überlege mir: Sollte Frithjofs Modell zukunftsfähig sein, könnte sich hier dann ein produktiver arbeitsethischer Vorsprung in Afrika herausbilden, der es nach vorne katapultieren könnte?)
Ökonomisches Potential
Ein Ökonom wirft ihm entgegen: Wenn er das westliche Wirtschaftsmodell hochspezialisierter zentralisierter Massenproduktion zugunsten individualisierter Eigenproduktion abschaffen wolle, würde das nicht den allgemeinen Wohlstandsoutput erheblich mindern? Ist das nicht viel ineffizienter?
Bergmann kontert mit Ineffizienz von Massenherstellung (unverwertbarer Überschuss) und überblähten Kostenanteilen, den Marketing und Vertrieb an Produkten nach unserem westlichen Wirtschaftsmodell hätten. Er nennt zentralisierte Massenproduktion “eine kurze Episode” in der Geschichte des Herstellens, er nennt sie “absterbend”. Er nennt neueres Individualwirtschaften viel effizienter und wettbewerbsfähiger. Und massengefertigter “Konsumschund” halte den Vergleich mit guter Arbeit oftmals nicht aus, da habe er die Qualität, sich gegen schlechter Gefertigtes durchzusetzen, auf seiner Seite.
Als der Ökonom einwirft, wolle Bergmann etwa die Vorteile von Arbeitsteilung abschaffen, würgt Frithjof das Gespräch leider etwas unsouverän ab mit der platten Begründung, das sei hier etwas zu speziell und uninteressant für die meisten Zuhörer (prompt kommt ein “Nein, ich will das auch hören” aus dem Publikum geschossen, das ihm aber nicht genügt).
Immerhin, später, als Markus Beckedahl bei Frithjof Bergmann noch ein wenig für Open Source wirbt, greift Bergmann das als Beispiel für, sagenwirmal, hochproduktive Arbeitsteilung freier Produzenten ganz nach seinem Ideal auf und re-konfrontiert damit den Ökonomen. Der nickt, ja, sowas findet er ja auch ganz faszinierend, aber als alleiniges Modell problematisch; einen Computertomographen könne man nicht in peer production bauen. Da muss dann auch Bergmann zustimmen.
Wie finde ich die Arbeit, die mich erfüllt?
Diese Frage, deren Gehalt mich weiter oben ja bereits irgendwie als leicht esoterisch wurmte, darf natürlich nicht fehlen. Immerhin beantwortet Frithjof sie mit dem recht unesoterischen und profanen Begriff “pleasure”. Man solle gucken, was einem “pleasure” bereite, und sei es das Anschreien von Taxifahrern.
Man braucht halt nur Raum, möglichst viel auszuprobieren, rumzuexperimentieren, um rauszufinden, was einem “pleasure” bereite (er erfreut mich mit den anti-esoterischen Worten “man kommt da nicht durch In-Sich-Reinhören drauf”, man müsse schon praktisch rumspielen), und das sei das Manko unseres jetzigen Systems, dass es diesen Raum eben nicht gebe.
23.35 Uhr
Frithjof Bergmann hat das Gespräch die letzten Minuten ziemlich im Publikum unter sich herwalzen lassen, ohne was zu sagen. Er meldet sich nun zu Wort: Er habe sich umgesehen, die Gesichter studiert. Er regt an, eine viertelstündige Pause zu machen. Müdigkeit?
Mir soll’s recht sein, ich hab jetzt zweieinhalb Stunden Frithjof Bergmann gehört. Ich mach jetzt eine richtige Pause. Und für die werde ich mich sogar bezahlen lassen … (Siehe folgenden Eintrag / to be continued.)
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Ob man nicht auch einen Computertomographen in peer Production bauen kann, ist noch nicht ausgemacht. Darüber denken wir ernsthaft nach: http://blog.p2pfoundation.net/join-our-conference-on-collaborative-platforms-for-open-manufacturing/2009/09/26
Zu Frithjof gibts einen Aufsatz von mir hier: http://www.keimform.de/2008/10/17/kritische-auseinandersetzung-mit-frithjof-bergmann/