Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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Tag 3, 10.00 Uhr: Metaversen. Ein historischer und gegenwärtiger Überblick – Was machen Sie so in Ihrem zweiten Leben?
Nach einer recht grausigen Nacht nun semi-frischauf wieder in der Kalkscheune, im immerhin diesmal noch nicht allzu stickigen (da auch noch recht dünn gefüllten) Workshopraum 2:
Andreas Lange vom Computerspiele Museum, aha … Ich habe ein Deja-Vu-Erlebnis. Genau! Der hatte doch schon auf dem 22c3 über Computerspielgeschichte im Allgemeinen … Und das Präsentations-Layout sah glaubich sogar ähnlich aus. Aber hey, auch das damals schon war ein cooler Vortrag.
Erstmal zum metaversenüblichen Begriff “Avatar”: der kommt aussem Sanskrit, bedeutet wörtlich “Herabkunft” und meint die körperliche Manifestation eines Gottes etwa in Mensch- oder Tiergestalt im Hinduismus; erstes Auftauchen als Begriff in einem Computerspiel mit Ultima IV: Quest of the Avatar ’85, erste Benutzung als User-Spielfigur ’86, populär geworden vor allem aber durch seine Verwendung in Neal Stephensons (teils längst realisierter) Ur-Metaversen-SF-Bibel Snow Crash ’92 (nettet Buch).
Zu den Metaversen selbst nimmt er als das “MUD” von ’79, was bekanntlich für Multi-User Dungeon steht, im Grunde ein Multiplayer-Text-Chat-Adventure, damals noch universitätsintern, ab ’83 konnte man sich auch von Außen abwählen, ab ’84 wurde es bereits für C64 & Compuserve kommerziell verbreitet.
Lange macht uns auch gleich die Freude, mal ein MUD live online vorzuführen, seliger ASCII-Spaß:
“TinyMUD” war dann ’89 das erste Online-Spiel, in dem die Welt von den Usern selbst gestaltbar war. ’92 gab’s bereits 207 Welten. (Lange untergliedert sie auf seinem Slide in MUD, MOO und MUSH, ohne diese Begriffe näher zu erläutern, was ein bisschen schade ist, ich vergesse da nämlich immer wieder die exakten Unterschiede / Akronymbedeutungen.)
Mit “Habitat” gab’s bereits ’86/87 das erste grafische Online-Metaversum und knapp zehn Jahre später ’95 die ersten 3d-Metaversen “Worlds Chat” & “Alpha World”.
Gibbet’s immer noch und die dortigen Communities sind immer noch einigermaßen aktiv. Der oben im Slide gefeaturete Screenshot einer metaversischen Heirat ist wohl zwölf Jahre alt, und, jetzt macht Lange was Cooles, er öffnet einen Client für dieses Metaversum (das ein bisschen wie ein primitiveres Second Life aussieht), wuselt etwas herum und gelangt dann schließlich über die Koordinaten, die im obigen Screenshot für den photographierten Ort angegeben sind, an selbigen, der nach einem Jahrzehnt wie eine perfekt erhaltene archäologische Ausgrabung immer noch genauso ausschaut.
Second Life überspringt Lange ohne großes schlechtes Gewissen. Kennt ja eh jeder. Wurde schon genug drüber geredet. Hier soll’s ja mehr um die anderen Metaversen gehn.
Und da plumpst das Interesse vor allem auf: Project Entropia; “grafisch state of the art” (im Gegensatz zum bereits etwas hausbackenen Second Life, also ich hab mit dem aber kein Problem) und vor allem eine “sehr interessante Mischung aus einem ausgefeilten Wirtschaftssystem, noch ausgefeileter als Second Life, und ‘nem Spiel.”
Lange will es auch gleich vorführen, aber das klappt leider nicht so recht mit dem Einloggen, nicht mit dem Account, nicht mit dem anderen, und mit diesem auch nicht, am Ende meint er, vielleicht habe man ihm tatsächlich seine Accounts gesperrt.
Aber jedenfalls: In Project Entropia geht’s darum, einen Planeten zu besiedeln, Monster zu besiegen und diese zu verwerten, an der Börse zu handeln … Geldtransfer virtuelle Währung und Realgeld hin und zurück läuft, muss auch, denn die Waffen, um die Monster abzuschlachten, kosten real cash, und damit kauft man sich nur eine beschränkte Zeit der Waffenbrauchbarkeit, in der man finanziell sinnvoll metzeln sollte. Im Durchschnitt gebe man mehr hinein als man herausnehme, so machen die bei Project Entropia wohl ihren Gewinn.
In Project Entropia herrsche unter diesen Bedingungen ein geschäftlich sehr viel rauheres Klima, man bekommt hier nix einfach mal so aus Nettigkeit geschenkt wie in Second Life; außerdem gebe es ein “ausgefeiltes cash-System” …
Der Community-Aspekt ganz interessant, während sich in anderen Metaversen ja Communities langfristig bilden, wäre das bei Project Entropia stets kurzfristig-projektbezogener, rasch zusammenklickbare Teams, “ein bisschen wie im Wilden Westen”: man verbünde sich vor Ort für einen Zweck , teile dann so und so den Gewinn und ziehe danach aber getrennt zum nächsten Städtchen weiter.
Design-Falle bei Project-Entropia sei allerdings die Zwitterverortung zwischen WoW, wo man ja auch schön ohne Übertragung realen eigenen Geldes in den Spielkreislauf spielen könne um des Spielens willen, und andererseits Second Life, wo das mit dem Verdienen realen Geldes richtig funktioniere, man da also richtig Profit machen und sich auf eigene Beine stellen könne.
Was aber, das verstehe ich jetzt nicht so ganz, Geldwäsche über virtuelle Finanzsysteme betreffe, das wäre über virtuelle Metaversen-Währungen ja oft einfacher und auch günstiger als über kriminelle Kreise, sei Entropia mit einem schon sehr sehr fortgeschrittenen Banksystem sehr schlagkräftig (dafür? dagegen? habichnichverstanden).
Aha. Chinesen haben kaum Cash-Karten und nutzen daher so exzessiv ihre virtuellen Währungen … ?
Nicole Simon warnt vor der Unsicherheit des ‘Eigentums’ in solchen Metaversen. Kaum jemand, der sich solches oder Finanzbesitz in derartigen virtuellen Welten zurechne, studiere tatsächlich mal ausreichend die AGBs und die in ihnen gegebene mangelhafte Absicherung. Selbst bei SL stehe da zwar vielleicht was vom Urheberrecht am eigenen Zeugs, aber dennoch wird das Recht vorbehalten, den Server abzuschalten oder sonstwie dieses ‘eigene Zeugs’ unzugänglich zu machen, ohne dass ein Anspruch auf Schadensersatz gewährt wird. Eben deshalb würde auch niemand ernstzunehmend nachhaltige Investitionen auf Basis dieser AGBs in diese Metaversen tätigen; das, was getätigt werde bis jetzt, “das ist Spielerei, das ist Portokasse.”
Ein brauchbares Metaversum dürfte also nicht von der Willkür eines einzelnen Unternehmens abhängen. Ideal eines offenen Netzes, betrieben mit offener Metaversen-Server-Software; bei SL bspw. mag ja der Client Open Source sein, schön und gut, aber auch nur der; das Ideal wäre recht nahe an Snow Crash (hab’s jetzt nicht mehr so gut im Kopf, um das zu bestätigen), verschiedene von verschiedenen Menschen kontrollierte Welten mit Verbindungen untereinander … Lange ist sich übrigens einigermaßen sicher, dass Linden Labs auch bereits an eine Öffnung der SL-Server-Software denkt, sie seien halt nur noch auf der Suche nach einem geeigneten Geschäftsmodell, um auch ohne Server-Monopol mit SL Geld zu machen.
Zur Sprache kommt dann auch noch die Open-Source-3d-Online-Plattform Croquet, die seit 1994 entwickelt wird; ein Ausblick auf eine unvermeidliche Diskussion zum Komplex “Web 3.0” als Folge all dieser Entwicklungen; ein bisschen Werbung für das (auch von futur:plom immer wieder gern gelesene) Markus-Breuer-Metaversen-Blog Notizen aus der Provinz; und aus dem Publikum ein gar nicht mal so unspannender Hinweis auf ein hier in Berlin entwickelt werdendes “Smeet”, das ein kommunikationsfokussiertes Metaversum werden wolle, das realistische Kommunikationssituationen von der Party bis zur Konferenz nachzubauen gedenke …
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