Holm Friebe
verweist im Wir-Nennen-Es-Arbeit-Blog darauf, dass ein vielzitierter optimistischer Neu-Klassiker zur digitalen Warenökonomie nun endlich auch in deutscher Übersetzung erscheint:
"The Long Tail" /
"Der lange Schwanz" von
Wired-Mann Chris Anderson.
Kernthese: In der
Digitalität verwandelt sich eine
Warenökonomie der Knappheit und Mainstreamisierung -- des begrenzten Lager- und Ausstellplatzes für Produkte und infolge der Reduzierung der möglichen Angebotsvielfalt auf die massentauglichsten Verkaufs-Hits -- in eine
Warenökonomie des Überflusses und der Vielfalt -- in der aufgrund der digitalen Aufhebung physikalischer Lager-&-Ausstell-&-Distributions-Beschränkungen ein Produkt nicht länger übermäßig umsatzstark sein muss, um infrastrukturell rentabel zu werden; noch der Verkauf des kleinsten Rand-, Nischen-, Amateurproduktes rentiert sich, auch wenn er nur ein einziges Mal geschieht. Alsbald machen Internet-Verkaufshäuser wie Amazon.de weitaus mehr Profit mit dem
Langen Schwanz / Long Tail der Mehrzahl obskurerer Titel in ihrem Angebot, vom Fantasyroman von Vorvorgestern bis zur im Selbstverlag herausgebrachten Doktorarbeit über Kirchenrecht im 14. Jahrhundert, als mit den zwar im Einzeltitel nach wie vor profitmäßig beeindruckenden, aber in ihrer Gesamtheit marktmäßig längst nicht mehr königlichen absoluten Verkaufs-
Hits, den Harry Potters und Britney Spears.
Und hieraus macht Anderson dann noch ein paar ganz große Würfe auf, zum Beispiel: Mit dem
Long Tail überholt er den Kommunismus, ohne ihn einzuholen; Marxens Wunsch nach einem postkapitalistischen Paradies, in dem jeder die ganze Vielfalt seiner menschlichen Potentiale produktiv entfalten könne, anstatt von
9 to 5 zur Drei-Handgriffe-am-Fließband-Maschine reduziert zu werden, sieht Anderson ganz im Long-Tail-Kapitalismus erfüllt: Hier könne nun jeder produktiv seinen authentischen, individuellen schöpferischen Interessen ganz unangepasst und nach eigenem Maße fröhnen und würde dabei trotzdem, geradezu automatisch, Produkte generieren, die auf dem endlos vielfältigen Web-2.0-Markt, wo jedes noch so winzige und spezielle Nischeninteresse zu Communities, Infrastruktur und Märkten emergiere, zahlungswillige Abnehmer fänden. Und dann braucht er nur noch die Nanotechnologie und fortgeschrittenere 3d-Printer / Compiler, Replikatoren, um eine Ausweitung dieser wirtschaftlichen Revolution von der Digitalität der Bits und Bytes auf die Realworld der Atome und Moleküle prophezeien zu können.
Man mag die Euphorie des Werkes belächeln und seine kapitalistischen Emanzipations-Versprechungen fragwürdig nennen (siehe auch meine Hausarbeit
“Emanzipation und Ausbeutung kooperativer Massenkraft, von Marx bis zum Web 2.0â€), nichtsdestotrotz produziert und assoziiert und trägt Anderson darin einen bemerkenswerten Haufen an Thesen, Modellen, Potentialen, Ideologemen und Prognosen zum Klumpen Web 2.0, Wikinomics, Internetökonomie und digitale Revolution zusammen, die es für diesen Bereich zu einem zentralen und ganz und gar unumgänglichen Dokument machen.
Friday March 2, 2007
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(hier war mal AdSense-Werbung, heute aber nicht mehr)
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