Futuristische und utopische Notizen von Christian Heller a.k.a. plomlompom.
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(“The Singularity is Near” von Ray Kurzweil lesen)
Ich will Kurzweils Argument zur Konstruktion einer uns gleichwertigen und umgehend danach überlegenen maschinellen Intelligenz erst einmal etwas verkürzt darstellen:
Wir müssen uns nicht aus der Luft bzw. der Philosophie heraus den Kopf zerbrechen über einen denkenden oder lernenden Algorithmus, um diesen dann in eine an sich dumme Maschine zu implementieren. Wir werden zwangsläufig einfach nur eine Intelligente Maschine, die wir längst haben, nachbauen. Dem Law of Accelerating Returns folgend, werden wir in wenigen Jahrzehnten die nötige Maschinerie (die nötigen Präzision in unseren Instrumenten und die nötigen Datenverarbeitungskapazitäten) erreicht haben, um ein menschliches Nervensystem vollständig (notfalls mit durch die Blutbahnen in unserem Gehirn schwimmenden Nanobots) abzuscannen und dieses dann auf einem Computer nachzusimulieren. Dass aus der von uns übernommenen Anordnung Intelligenz und Bewusstsein emergieren, hat die Natur am Original schon längst bewiesen, also werden sie das auch in unserer Simulation [1]. Selbst wenn wir dann nicht in der Lage wären, verstandesmäßig nachzuvollziehen, wie Intelligenz und Bewusstsein aus einer solchen Anordnung emergieren, hätten wir sie doch zumindest so auf einer Maschine nachgebaut und könnten sie auch sofort mit den ungeheuren zusätzlichen Datenverarbeitungskapazitäten koppeln, die so eine Maschine in Geschwindigkeit, Ausdauer und Gedächtnis dem menschlichen Gehirn voraus hat, was schwupps eine übermenschliche Intelligenz bedeuten würde: Singularity Mission Accomplished!
Tatsächlich argumentiert Kurzweil etwas differenzierter und vor allem, oh boy, mit einer so geballten Ladung Hirnforschungs-Rundumschlag, dass ich mich als Laie erstmal ein paar Tage davon erholen musste [2]. Für ein ‘blindes’ Abscannen und Nachbauen des Nervensystems Atom für Atom argumentiert er gar nicht mal so sehr, solches stellt nur das mitgedachte äußerste Notfallslimit dar, das dank der von ihm postulierten Beschleunigungsgesetze spätestens das Ziel erfüllt. Stattdessen gibt er sich ganz zufrieden mit dem bereits praktizierten gemischten Nachvollzug bottom up der elektrochemisch-funktionalen Anordnungen von Neuronen, Synapsen, Axonen, Dendriten … und top down kognitivistischer, psychologischer usw. Modellbildung für geistige Vorgänge. Die Maschine des menschlichen Geistes vollständig zu begreifen, hieße natürlich, von der Welt des bottom up in die Welt des top down bzw. umgekehrt aufzuschließen. Aber auch auf dem Weg dahin (der durch das Law of Accelerating Returns beschleunigt wird) lassen sich bereits funktionale Zusammenhänge abstrahieren, und jede solche Abstraktion bedeutet eine weitere Kompression jener Komplexität, die für eine vollwertige Simulation des menschlichen Geistes nachgebaut werden muss.
Letztlich lässt sich für Kurzweil die informationelle Komplexität des menschlichen Geistes auf wenigstens unter hundert Megabyte verkleinern. In der Größenordnung sieht Kurzweil die Komplexität, auf die sich nach derzeitigem Stand der menschliche Gencode komprimieren lässt, der die Konstruktion unseres Nervensystems steuert. Denn darin ist eben nicht eine Anordnung Neuron für Neuron und Synapse für Synapse verzeichnet, sondern ein Regelwerk, aus dem ein Nervensystem wächst und in Kontakt mit der Umwelt zu der Intelligenz emergiert, die wir Mensch nennen. Das menschliche Nervensystem ist nur als Emergenz begreifbar, es ordnet sich mithilfe der vorgegebenen Regeln synaptisch aus erstmal ziemlich beliebig zusammengewürfelten neuronalen Spielsteinen. Sind die Regeln bekannt, lassen sich also austauschbare Häufen informationeller Beliebigkeit und informationell gehaltvoll geordneter Systeme im Gehirn trennen / auseinanderfieseln (eine Aufgabe, die auf den ersten Blick ziemlich schaurig anmutet, in ihren informationstechnischen Lösungsbedingungen aber durch das Law of Accelerating Returns locker genommen wird), steht einem (natürlich wie schon immer in der menschlichen Kulturgeschichte durch Informationstechnologie unterstützten) verstandesmäßigen Nachvollzug des menschlichen Geistes nichts mehr im Weg.
Man muss natürlich zwischen zwei Zielen unterscheiden: der Neuformung eines menschlichen Geistes auf einem Computer, die nach dieser Darstellung Kurzweils quasi schon so gut wie erledigt ist; und der Übertragung eines bereits gewachsenen menschlichen Geistes auf einen Computer: dem “Mind Upload“. Letzteres, so Kurzweil, würde wohl ein umfangreicheres, feineres Abscannen (mit Nanobots im Hirn) der informationellen Komplexität erfordern, um alle auch möglicherweise beliebigen Vernetzungen im Nervensystem einzufangen und so keine Information zu verlieren. Und es wirft natürlich noch ein paar andere Probleme bezüglich Identität auf: den Geist einfach, um mal in der heute üblichen Sprache von Dateisystemsoftware zu sprechen, auf den Computer kopieren (so dass er am Ende doppelt existiert) oder verschieben (so dass er am Ende nur einfach existiert)? Aber für Kurzweil werden wir sowieso schon im Alltag einen großen Teil unserer geistigen Prozesse und damit unseres Geistes auf den Computer ausgelagert haben, wenn diese Frage einmal aktuell wird.
[1] Nicht unerwähnt sollte man freilich lassen, dass z.B. Sir Roger Penrose die These vertritt, dass sich die Emergenz von Intelligenz und Bewusstsein im menschlichen Gehirn nicht auf klassische Physik runterrechnen lasse, sondern man bis auf die subatomare Ebene zu Phänomenen der Quantenmechanik runtergehen müsse, eine Ebene, auf die sich Kurzweil noch nicht so recht runterwagt. Doch die Wikipedia beruhigt: “Penrose’s views on the human thought process are not widely accepted in scientific circles.”
[2] Kurzweil gräbt Wissenschaft stets so tief auf, wie es ihm für die Erläuterung seiner jeweiligen Ingenieursidee notwendig ist. Die Komplexitäts-Reduktion, die vom Wissenschaftsjournalisten oder selbst dem pädagogischen Schulbuchautor betrieben werden, lässt sich nicht vereinen mit der Notwendigkeit, fortwährend Feinheiten neuester Forschungsergebnisse für Detailprobleme des jeweiligen Fachgebiets als Gedankensprungbrett aufzuspannen. Wagt man sich in die Fußnoten, wird man von ganzen Bibliotheken wissenschaftlicher Fachpublikationen der jeweils vordersten Front erschlagen.
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