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Freiheit über Praktikabilität

Der Mann, dessen Bart die Freie Software gebar, war in Berlin. Er predigte moralische Rigorosität (aber das soll er ja auch), betrieb Kirchenpolitik und gab eine Gesangseinlage.

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Stallman am Vormittag im Newthinking Store beim Pressegespräch

Ich will jetzt keinen großen Abriss über Philosophie und Geschichte der Freien Software geben; das können Andere viel besser. Wer davon nix weiß, klickt sich vielleicht besser erstmal durch einen dieser Links eben.

Freie Software und verwandte Konzepte jedenfalls sind binnen des letzten Vierteljahrhunderts ein ziemliches Erfolgsmem in einigen Sphären geworden. Ich behaupte jetzt mal ganz schroff: Nicht nur ein großer Teil der Software, die heute das Netz anschiebt und inzwischen auch so manchen Desktop-Computer dominiert, schuldet so Einiges in ihren Entwicklungsparadigmen einer Free-Software-Geisteshaltung; (und sei es unter begrifflichen Gegenentwürfen wie “Open Source”, ein Terminus, dessen Verwechslung mit dem Terminus “Freie Software” einem zuweilen böseste Blicke ernten kann (siehe weiter unten im Text), der aber wohl dennoch ohne das Mem der Freien Software als Elternteil undenkbar wäre); sondern auch urherberrechtlich-emanzipatorisch gedachte Konzepte für geistige Erzeugnisse eher anderer Form wie der Creative-Commons-Lizenzbaukasten haben eine wesentliche Verwandtschaft mit dem Free-Software-Mem. Womit ich die Bedeutung begründen möchte, die ich Richard Stallman neulich zubloggte, der sich nicht ganz zu Unrecht eine wichtige Rolle in dieser Geschichte und ihrer Genese zuschreibt.

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Stallman am Abend im media center Atrium beim Vortrag

Er hat seit den frühen 1980ern den Begriff und die Grundideologie und eine der einflussreichsten Lizenzen der Freien Software geformt, und dazu auch noch das Fundamentalprojekt eines ganzen Free-Software-Computerbetriebssystems, “GNU”. Anfang der 90er wurde dieses “GNU” vervollständigt durch den Betriebssystem-Kernel “Linux”. Was man heute gemeinhin “Linux” nennt, ist genaugenommen (meist) GNU/Linux. Dies ist eine terminologische Feinheit, auf der Stallman gerne massiv rumreitet. Er fordert sie von jedem ein, der von “Linux” nicht als dem Kernel-Bestandteil von GNU sondern als dem gesamten Betriebssystem spricht. “Linux” / “GNU/Linux” war und ist seit den 90ern ein ziemlich unglaubliches globales Erfolgsding, ein in freier Kollaboration Tausender (Zehntausender? Hunderttausender?) Menschen entstandenes hochkomplexes geistiges Erzeugnis und Werkzeug, das die Welt der Computernutzung von den Graswurzeln her revolutioniert. Kein Wunder also, dass Stallman es gerne als Erfolgsprojekt von GNU und damit seines Projekts Freier Software verbuchen will. Der Umweg über die Frage: wer hat’s erfunden? (Stallman und seine Free Software Foundation oder Linus Torvalds?) ist dabei aber nur auf den ersten Blick absurd (absurd in Anbetracht der massenkollaborativen Entwicklung) und selbstgerecht.

Denn Stallman geht es weniger (wenn auch sicher ein bisschen) um Credit für seine Person als für eine moralische Idee, an die er tief und fest glaubt: Die Freiheit von Software, die Freiheit, sie unbeschränkt verwenden, verändern und weiterverbreiten zu dürfen, ist Menschenrecht, absolut notwendig und keine Kompromissfrage. Wer sie beschränkt, ob nun Steve Ballmer oder Steve Jobs mit DRM, der gehört in den Knast. So lange Software noch in großer Zahl unfrei ist, ist es oberste Pflicht, ihre Freiheit zu propagieren. Eine oberste Pflicht, hinter die alles Andere zurücktritt, sei es das Geschäftsmodell mit “Geistigem Eigentum” oder sei es die “convenience” der praktikablen Benutzbarkeit eines Programmes. Die Ideologie muss transportiert, der Gedanke glasklar genannt werden; und das geht nur, wenn man Linux als das GNU-Projekt der Freien Software identifiziert, denn der Kernel Linux ist kein ideologisches Projekt und sowieso nicht einmal vollständig ‘frei’ (sein “Quellcode” enthält Passagen nicht-menschenlesbaren Treibercodes, der von Hardware-Firmen zur Verfügung gestellt wurde, um Maschinenteil x mit Linux lauffähig zu machen, ohne den ihm zugrundeliegenden Quellcode mit rauszugeben).

Stallman, der aufgrund seiner endlosen Vortragsreisen kaum noch zum Programmieren kommt, führt seinen Krieg gegen die Unfreiheit der Software eben inzwischen längst primär als Begriffspolitik. “Geistiges Eigentum” als ein zu vernichtender Begriff, der einer nicht vereinbaren Vielfalt urheber- und patentrechtlicher “incentives” ein vermeintliches Naturrecht auf Unfreiheit geistiger Erzeugnisse unterzuschieben sucht; “Open Source” wiederum der nicht duldbare Versuch, einige praktische Vorteile Freier Software einer Welt unfreier Software kompatibel zu machen, ohne dabei deren politische Grundlagen zu erschüttern.

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Zwischendurch ein Gastauftritt von St. IGNU-cius (mitsamt Heiligenschein) von der Church of Emacs. Erklärung hier. Sowas wie Humor ist dem rigorosen Stallman offenbar doch nicht ganz unbekannt.

Fragen an ihn bei seinem Auftritt, die solcherart die falschen Begriffe verwenden, weist er barsch ab. Ebenso Fragen nach dem Umgang mit der Unvermeidbarkeit unfreier Software in diesem oder jenem Bereich : Freiheit hat über “convenience” zu stehen. Oder: Wenn ich meine Daten über kommerzielle Internet-Dienste verarbeiten möchte, die unfreie Software verwenden, was wären da meine Alternativen? Seine Antwort: Alles nur auf dem eigenen heimischen Computer tun, auf dem nur Freie Software installiert ist.

Das klingt alles, wenn auch von sympathischen Grundgendanken ausgehend, in seiner Konsequenz recht rigoros und intolerant gegenüber der Realität. Ist Stallman ein engstirniger Fanatiker? Er scheint zuweilen etwas schwierig im Umgang zu sein, aber ich hatte eigentlich kein Problem mit seinen beiden Redner-Auftritten gestern (außer dass manche Anti-Bush-Seitenhieb-Zote nicht unbedingt zur Abstrahierbarkeit seines politischen Arguments beitrug). Er ist halt die Personifizierung eines moralischen Absoluten. Als solche würde ich ihn mir gewiss nicht als letzten Entscheider in einem realpolitischen Zusammenhang wünschen, aber als demonstrative Verkörperung einer Idee, die einige Maxima dieser Idee ausdrückt, geht sowas eigentlich in einer pluralistischen Öffentlichkeit voll in Ordnung ;-)

Und hier noch eine kleine Performance von Herrn Stallman:

[Hier war mal ein YouTube-Embed, nun ist hier nur noch dieser Link aufs Video.]

Tuesday February 19, 2008

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Kommentare

  1. Torsten / 20. February 2008, 16:45 Uhr

    Hey, danke den tollen Text und fürs Verlinken!

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